Wer Lederjacken trägt, ist ein Sleazebag. Soweit unsere very sophisticated theory. Wenn ein Dienstleistungsanbieter eine (zumal zu große!) Lederjacke trägt, kann man davon ausgehen, dass er einen noch dreister über den Tisch ziehen will als der Durchschnitt seiner Zunft.
Jüngstes Beispiel: Nach einer GTZ-Abendveranstaltung wollte ich mit zwei anderen Praktikanten nach Hause fahren. Ein Tuktuk aufzutreiben war schwierig, weil das GTZ-Büro nicht gerade an einem Hotspot für Personenumschlag liegt. Zusätzlich wollten wir zusammen in einem einzigen Tuktuk eine Tour fahren: Erst zu Praktikant 1, dann zu Praktikantin 2, dann zu mir nach Safdarjung Enclave. Das hatte den Vorteil, das Praktikantin 2 nicht nachts alleine mit einem Tuktukfahrer durch die Gegend gondeln musste, und wir nicht jeder einzeln auf Tuktuks warten mussten. Der Nachteil lag erstmal darin, dass uns schöne Phantasiepreise geboten wurden, weil die Fahrer bei der komplizierten Strecke einen größeren Informationsvorteil gegenüber uns haben. Wir können nicht so leicht einschätzen, was ein fairer Preis ist (fairer Preis = was ein Inder zahlen müsste).
Schließlich einigten wir uns mit jemandem auf 180 Rupien. Wir waren schon unterwegs, als mir die Lederjacke des Fahrers auffiel! Oh nein, ein Sleazebag!, signalisierte ich meinen Kollegen auf der engen Rückbank, die nicht für drei Europäer konzipiert war.
Das Heim von Praktikant 1 musste schon ausgiebig gesucht werden, mehrere Passanten wurden befragt, mehrere U-Turns gemacht. Wenn man in ein Tuktuk steigt, sollte man schon selber wissen, wo man genau hinwill und wie man da hinkommt. Praktikant 1 war schließlich grob in der Nähe seiner Wohnung abgesetzt, also weiter zu Praktikantin 2. Sie versuchte mehrmals den Fahrer darauf hinzuweisen, dass er gerade an ihrem Viertel vorbeifährt, aber er ließ sich nicht beirren.
Gut, er ist der Experte, vielleicht gibt es eine Abkürzung? Gibt es nicht! Er war schon einen Kilometer vor meinem Zuhause, als er zugeben musste, keine Ahnung zu haben, indem er einen Passanten nach dem Weg fragte. Der wies ihm natürlich auf dem gleichen Weg zurück, woraufhin er ziemlich verzweifelt guckte: Könne er nicht erst mich absetzen und dann Praktikantin 2? ... Nein, nein, Sleazebag, kannste nicht. DU nicht.
Also nochmal kilometerlang zurück, dort wieder rumgeirrt und Praktikantin 2 abgesetzt. Puh. Schon ganz schön spät. Jetzt sollte es wieder zurück in mein Viertel gehen, nach Safdarjung Enclave. Wo er eben schon war. Aber erstmal hielt er nach hundert Metern am Straßenrand, stieg aus und murmelte was von "Bathroom". Aha, ok, ich sah auf das öffentliche Urinalhäuschen am Straßenrand, alles klar. Ich stieg aus, weil Lederjacken-Sleazebag mich schon ganz nervös gemacht hatte und ich mehr Überblick brauchte. Er kam nach zwei Minuten noch nicht zurück und ich malte mir aus, wie er per Handy mit seinen Buddies ausmachte, wo sie mich überfallen werden.
Zudem machte mich nervös, dass jemand Anderes von aussen an das Klohaus pisste anstatt reinzugehen... war der Tuktukfahrer etwa auch gar nicht reingegangen? Ich fasste den Entschluß, nachzusehen. Ein paar Schritte Richtung Pisshaus erblickte ich seinen Kopf, der hinter einem Müllcontainer hervorlugte. AHA! Dort, zwischen Container und Mauer, versteckt er sich und telefoniert mit seinen Räuberfreunden! Aber als er mich kommen sah, stand er aus der Hocke auf und zog dabei mit einer flüssigen Bewegung seine Hose hoch.
Ach so, ich hatte ihn beim Kacken erwischt!
Na gut, peinliche Situation, wir sagten beide nichts und stiegen wieder ins Tuktuk.
Obwohl er noch vor zwanzig Minuten fälschlicherweise in Safdarjung war, fand er den Weg dorthin nicht mehr. Ein äußerst hilfreicher Mann am Straßenrand übersetzte minutenlang meine Beschreibungen ins Hindi (hauptsächlich "he was there half an hour ago, how can he not find it???") und sprintete dann weg; offensichtlich hatte ihn dieser nette Dienst am Mitmenschen unter Zeitdruck gesetzt und er musste sich beeilen.
Es kamen unglaublich viele U-Turns, weil der Fahrer aus irgendeinem Grund nicht den Highway benutzen, sondern quer durch Green Park fahren wollte. Green Park ist ein Viertel, was zwischen uns und Safdarjung liegt. Wäre schon schneller, wenn es klappt. Nun muss man aber wissen, dass die Viertel hier nachts mit großen Metallgattern verschlossen werden. Man kommt dann nur noch durch ein einziges Tor rein, an dem mindestens ein dick eingemummter Wachmann sitzt und aufpasst.
Normalerweise gibt es eine befahrbare Strecke durch Green Park, aber die war durch Bauarbeiten verschlossen. Vor der Baustelle guckte der Fahrer erstmal doof, erkundigte sich wie immer bei einem Fußgänger und probierte jede kleine Parallelstraße, die immer an den besagten Gattern endeten, die die Viertel einhegen. Bis wir da rauswaren...
Nach insgesamt bestimmt einer Stunde war die Tour beendet, ich konnte an meinem Gate aussteigen. Ich begann die 180 Rupien rauszusuchen, da meinte er, ich solle ihm jetzt 300 Rupien geben. Wat, warum? Weil es so lange gedauert hatte, erst waren wir schon in Safdarjung, dann mussten wir noch zurück, usw.
Wir unterhielten uns dann ein paar Minuten darüber, er auf Hindi und ich auf Englisch. Um zu zeigen, dass die Fahrt übermäßig lange dauerte, holte er sein Handy raus und zeigte aufs leuchtende Display, nannte dazu immer wieder die Namen der Viertel, die wir durchfahren hatten und ruderte groß mit den Armen, was die Größe Delhis und die Weite der Wege symbolisierte.
Ich hingegen legte meine Handgelenke immer wie durch Handschellen gefesselt aneinander, befreite mich aus den imaginären Fesseln und sagte dazu "We are free people! You agreed to 180! You didn't have to! We would have found someone else!".
Da packt mich dann auch der Stolz, ich komme ja aus einer Taxifahrerfamilie. Entweder fährt man nach Taxometer (ja, sowas haben die Rikschas!) oder man entscheidet sich, die Bleichgesichter per ausgehandelten Fixpreis extra auszunehmen, weil man die Angebotsknappheit am GTZ-Büro ausnutzen kann. Aber wenn man einen Fixpreis macht, gilt der auch! Wenn er Aufschläge für eigene Orientierungsfehler wollte, hätte er es vor Vertragsabschluß einbringen sollen.
Er fuhr also beleidigt mit 180 Rupien weg.
Sleazebag.
Donnerstag, 11. Dezember 2008
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