Freitag, 28. August 2009

Biper – Ein großer Rätselspaß

Das mobile Telefon ist in Burkina Faso sehr wichtig. Da es nur selten Festnetzanschlüsse gibt, weil es eben nur selten eine fixe Stromversorgung gibt, ist das Handy zur Kommunikation auf Distanz unabkömmlich. Durchschnittlich hat vielleicht jeder burkinischer Mensch ein Handy; durchschnittlich, das heißt eben, manche Menschen haben mehrere, andere dafür gar keins.

Um das Gerät zweckmäßig benutzen zu können, muss zuvor der Anbieter erwählt werden. Im Vergleich zum überfrachteten Handy-Markt in Deutschland gibt es hier erstens nur PrePaid und zweitens eben genau drei Möglichkeiten, die sich sowohl in ihren Angeboten als auch namentlich nicht sonderlich unterscheiden: Telmob, Telecel, Zain beziehungsweise Celtel. Der einmalige SIM-Karten-Kauf beläuft sich auf etwa 1,50 Euro. Dann geht es los. Das mitgelieferte Startkapital kann verbrasst werden. Wenn es aufgebraucht ist, wird einer der zahlreichen Menschen, die überall in der Stadt Handy-Guthaben-Karten verkaufen, konsultiert. Oder aber, das allerdings nur mit Zain/Celtel, das Guthaben in einer SapSap-Station aufladen: Statt einer freizurubbelnden Zahlenreihe wird hier durch das Ansagen der eigenen Telefonnummer das letzte Kleingeld direkt auf das Handy geladen. Das geht schneller und erlaubt eben auch am Monatsende noch das Kommunizieren.

Das mobile Gerätekommunizieren ist dann auch derlei institutionalisiert, dass bei spontanen Straßenbekanntschaften nach dem Namen sofort die Handynummer erfragt wird. Anfangs noch konnte ich mich (eine zeitlang sogar wahrheitsgemäß) mit dem Fehlen einer burkinischen SIM-Karte herausreden; mittlerweile kann ich so verfrühte Kontaktversuche kopfschüttelnd abwehren.

Die Kommunikation per SMS ist dann eben auch nicht sehr ergiebig. Selbst wenn zwei Menschen nachbarschaftlich nur wenige hundert Meter auseinander wohnen, wird regelmäßig, also mindestens zweimal täglich, der andere Gemütszustand erfragt und der eigene berichtet. Das reicht aber eben nicht über die gewohnte Smalltalk-Irrelevanz hinaus, ist dann auch schon mal erschreckend eintönig in der Abfolge.

Telefoniert wird ansonsten eher selten, wenn dann auch nur sehr kurz.

Dafür gibt es eine andere Anruf-Funktion, die zu erlernen ich immer noch versuche. Nun gibt es ja die ganz sinnvolle Absprache im Vorfeld eines Besuches, etwa um die kaputte Klingel zu umgehen: Wenn ich vor der Tür stehe, klingel ich dich kurz an, du gehst nicht ran, machst nur auf. Oder auch zeitlich hochoptimierte Verabredungskünste: Wenn ich dich anklingel, gehen wir beide los und in zehn Minuten treffen wir uns am verabredeten Treffpunkt. Das ist also alles ganz verständlich und spart unnötige Kosten. So etwas gibt es hier auch: Das Zauberwort heißt „biper“ und meint das kurze Anklingeln. Leider fehlt es aber immer an vorherigen Absprachen, sodass aus dem kurzen Anklingeln so gar nicht hervorgeht, was das momentane Bipen gerade bedeuten könnte. Wenn ich dem Chef per SMS mitteile, dass ich ihm am darauf folgenden Tag ein Heft mitbringen werde, dann bipt er mich kurz nach Versenden der Nachricht an. Ich interpretierte es mal als „Okay, geht klar.“ – wobei ich doch gar nicht nach seiner Meinung fragte und die irgendwie auch gar nicht notwendig war. Ein Bipen kann aber auch ein Gruß aus der Ferne sein oder gar die Aufforderung, sofort zurückzurufen. Aber genau das geht nun aus dem Bipen selbst nicht hervor. Die burkinischen Menschen nicken das hier und da kurz vor sich hin klingelnde Handy akzeptierend ab und verstauen es wieder; als wüssten sie nun ganz genau, welche Nachricht sich dahinter verbergen würden. Tatsächlich aber erlebte ich schon Biper-Missverständnisse zwischen burkinischen Menschen – das aber nur in besserwissenden Klammern.

Schwierig auch, dass ich mein portables Telefon in burkinischer Unmanier nicht konstant am Körper trage, was mehrmals schon mit dem strafenden Zeigefinger quittiert wurde, denn mit der Anschaffung eines Handys wird gleichzeitig die immerwährende Erreichbarkeit verkündet. Und leider kann ich die Klingel-Dauer der versäumten Anrufe bei der HandyOption „Anrufe in Abwesenheit“ nicht nachprüfen. So weiß ich nicht, ob der Anruf nun bipende fünf Sekunden dauerte oder ob wirkliches Gesprächsinteresse vorlag. Zumindest für mich immer ein großer Rätselspaß.

Freitag, 21. August 2009

Heute: Tô

Im überblickenden Beitrag zu den bisher entdeckten Kulinaritäten berichtete ich unter anderem von Tô, diesem meist recht geschmacksarmen Gericht aus Mais oder Hirse. Während meiner zwei Aufenthalte auf dem Lande lernte ich stückchenweise die einzelnen Etappen der Tô-Zubereitung bis zu seiner Verspeisung kennen. On y go.
Zunächst einmal befinden wir uns in der Erde, wo wir dem zarten Wurzelchen beim Durchbrechen der steinern harten Oberfläche zujubeln. Oben angekommen dann, erblickt es das belebende Licht der Sonne und kann seine Zweigchen entfalten. Ein Hirsepflänzchen. Hurra. In der Vielzahl aber, das muss richtigerweise hinzugefügt werden, wird Tô weder aus Mais noch aus Hirse hergestellt, sondern – oha! – aus Sorghum. Diese Pflanze gibt es wiederum in rot und weiß, ähnelt dann aber doch in allen weiteren Merkmalen sehr stark der Hirse.
Diese Pflanze entsteigt also der Erde. Hier befindet sie sich in schön angepflanzten Linien neben Artgenossen auf großen Feldern, wo sie liebenswürdigerweise von getrockneten Steinbrocken und Unkraut befreit wird. Diese Arbeit wird von Menschen verrichtet, ganz einfach mit Hacke und immer in gebückter Haltung.
Irgendwann ist das zierliche Pflänzchen dann zu einer gestandenen Pflanze herangewachsen, was sich an den kleinen runden Getreidebömmelchen zeigt. Dann wird sie herausgerupft und mehrere Halme landen zusammen in einem hüfthohen Mörser. Und hier beginnt dann auch die plötzlich eintretende Arbeitsteilung nach Geschlecht. Denn die Tô-Zubereitung ist allein den Frauen vorbehalten, oder vielmehr: zugewiesen. Alle Männer preisen zwar immer im Brustton der Selbstüberschätzung ihre Tô-Kenntnisse an, selbst zubereiten würden sie es aber nie. Andernfalls würden sie nämlich als verrückt erklärt. So stehen dann zwei oder drei Frauen mit ordentlich großen Holzknüppeln – und Oberarmmuskeln, das nur nebenbei – um den Mörser und teilen die Frucht vom Gestrüpp; immer im eingespielten Rhythmus nacheinander den eigenen Holzklotz fallen lassend.
Der Ertrag wird aus einer Schüssel etwa auf Bauchnabelhöhe der Gravitation preisgegeben. Mit dem Wind wird alle Spreu herausgeweht und die ersehnten Körner fallen in die am Boden bereitgestellte große Schüssel.
Nun werden die Körner zermahlen. Wahlweise in der laut ratternden Mühle oder eben kostenfrei, dafür länger andauernd und körperanstrengender auf den in jedem Dorf befindlichen Mahlplätzen. Hüfthoch konzipierte, große runde Steinkonstruktionen mit am äußeren Rand einzeln installierten, glatten Steinflächen. Dazwischen liegen lose etwa faustgroße Steine mit einer ebenso glatten Unterseite. Die Körner werden zwischen den beiden flachen Steinflächen zermahlen. Es entsteht Hirsemehl.
Dieses Mehl wird in der Abendstund in eine bereits kochende Essig-Wasser-Emulsion gegeben. Unter ständigem Rühren mit einem großen Kochlöffel in einem großen Kochtopf über einer heißen Feuerstelle entsteht eine breiige Masse, die in die bereits umstehend bereitgestellten Gefäße gefüllt wird.
Nach etwa einer halben Stunde ist der Brei getrocknet und wird serviert. Maximal drei zusammensitzenden Menschen wird ein Topf in die Mitte platziert, dazu eine kleinere Schüssel mit Sauce. Diese variiert je nach Jahreszeit, nach Ernterfolg, nach Hof, nach Zubereitungsart. Außerdem wird eine dritte Schüssel mit Wasser dazugestellt. Alle waschen sich die Hände im Wassertopf und beginnen nun zu essen. Die rechte und zwar nur die rechte Hand bröckelt sich ein mittlerweile festgewordenes Tô-Stück ab, zerdrückt es mit den Fingern in der Handinnenfläche zu einem transportfähigen Klumpen und tunkt diesen dann in die Sauce. Das ganze wird schließlich zum Mund geführt, der Tô-Saucen-Klumpen dort hinterlegt und die Finger gewissenhaft abgeleckt, um danach wieder engagiert in Tô- und Sauce-Topf zu greifen. Reste, die beim überladenen Transportweg auf den sowieso nicht so weit entfernten Boden fallen, werden nach dem Verzehr zusammen- und aus Haus oder Hof gefegt. Und wer satt ist, wäscht sich die Hände in der noch immer bereitstehenden Wasserschüssel.

Freitag, 14. August 2009

Und täglich grüßt die burkinische Höflichkeit

Dass hierzulande zum obligatorischen „GutenTag“ beziehungsweise „Guten Abend“ immer auch ein „Wie geht’s?“ über die Piste gerufen wird, habe ich schon berichtet. Wenn nun aber die Unterhaltung etwas körpernäher oder zwischen zwei sich kennenden Menschen fortgeführt wird, gestaltet sich die Begrüßung etwas ausführlicher, so möchte ich es mal nennen.

Der erste Schritt jeder Begrüßung ist immer der Handschlag, aber ein ganz lascher, überhaupt nicht feste. Bei jüngeren Menschen endet der Handschlag im gegenseitigen Schnippen der Mittelfinger durch den eigenen Daumen. (Äääm, verstanden?) Das funktioniert aber nur mit ordentlich Druck dabei, weswegen das „claqué“ bei mir aus Angst vor Verletzungen oftmals lautlos verpufft. Pardon, hihi. Ist die rechte Hand gerade nicht schüttelfrei, wird ersatzweise das hingehaltene Handgelenk umgriffen. Bei deutlich älteren Menschen oder Respektpersonen wird freilich niemals geschnippt. Stattdessen führt der respektzollende Part die linke Hand zum Ellenbogen der rechten schüttelnden Hand. Und dabei gerne mal knicksen oder den Kopf huldigend neigend.

Parade-Beispielhaft schreibe ich den gesprochenen Teil einer solchen Begrüßungsunterredung zwischen Anna und ihrem Brouchetten-Grillmeister nieder:

„Aaaaanna! Guten Abend, wie geht’s?“

„Guten Abend. Ja, es geht gut. Und selbst?“

„Ja. Läuft. Und die Gesundheit?“

„Kein Problem.“

„Und die Familie?“

„Ja, es geht ihnen gut.“

„Und die Arbeit?“

„Sehr gut.“

Kurze Pause. Jetzt nachdrücklicher.

„Und Anna. Wie geht’s?!“

Das sind die drei großen Fragenblöcke: Gesundheit, Familie, Arbeit. Die können sprachlich variieren. Und je nachdem wie der andere Mensch über das eigene Leben informiert ist, können die Fragen etwas präziser formuliert werden.

Das erscheint jetzt schon etwas umfangreich. Im Vergleich zum dörflichen Begrüßungsmarathon ist aber die städtische Begrüßungsfloskelei eine Unverschämtheit sondergleichen. Auf dem Dorf geht das nämlich so:

Die zwei Menschen ergreifen die rechte Hand des anderen und verharren erstmal genauso bis das Updaten abgeschlossen ist. Zunächst fragt nur der eine Mensch, der andere antwortet. Und jedes Mal, wenn ein neues „ja, gut“ erwidert wird, wird der Händedruck wieder etwas stärker. Oftmals wird der Fragekatalog aber nicht sofort nach der ersten Begrüßung abgehandelt, sondern auch gerne mal in einer kurzen Konservationspause nach fünf Minuten eingeschoben. Dann wird weitergeredet und nach weiterer Plauderei fragt der vorher antwortende Mensch aus, und wieder wird die Hand ergriffen, ab und zu etwas fester zugedrückt.

Nun wird bei dieser Begrüßungshöflichkeit keineswegs die Wahrheit berichtet. Ähnlich dem deutschen Smalltalk, der ja auch nach ganz strengen Regeln funktioniert, wird hier niemand ausführlich berichten, wo es gerade piekt und drückt. Eine Wahrhaftigkeit kann hier aber doch versteckt kommuniziert werden: Wenn nämlich jemand dreimal hintereinander mit „kein Problem“ antwortet, hat dieser Mensch ganz sicherlich ein großes Problem, ohja. Der ganze Fragekatalog dient also eigentlich nur der eben so schön eingerichteten Höflichkeitstradition. So wird eben auch beim Straßenstand nicht sofort die Bestellung herausgepoltert, sondern wenigstens ein artiges „Es geht Ihnen gut?“ dazwischengeschoben. Und kurioserweise, so konnte ich heimlich kichernd beobachten, äußert sich die zumindest inhaltliche Oberflächlichkeit dieses Abfragens dann auch in der Gestik: Der eine Mensch schaut dann schon mal desinteressiert in den Himmel oder popelt sich wahlweise im Ohr.