Dienstag, 21. April 2009

„Nassara! Nassara!“

Um das gleich mal festzuhalten: Ich bin Nassara. Und ihr alle auch, glaube ich. Das war eine der ersten Lektionen hier in Ouaga. „Nassara“ ist nämlich Mooré, die Sprache der Mossi, der größten Ethnie in Burkina Faso, die in und um Ouaga lebt. Und „Nassara“ bedeutet „weißer Mensch“. Also rufen die Burkinabé den weißen Menschen „Nassara“ zu und hinterher. Und das ist nicht mal abwertend gemeint – glaube ich. Dieser Begriff ist so geläufig, dass selbst die kleinsten Kinder, die sonst noch nicht viel sagen können, so doch wenigstens ein entdeckendes „Nassara“ rufen. Manche Kinder ängstigt der Anblick des weißen Menschen dann auch. Denn vergleichbar etwa dem deutschen „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann“ gibt es hier Drohgeschichten vom Schlage „… dann holt dich Nassara“. Die etwas aufgeklärteren oder aber mutigeren Kinder entdecken die weißen Menschen schon in der Ferne und kommen in großer Schar angerannt, um die ausgestreckte Hand hoffnungsfroh entgegenzuhalten. Dann schüttelt Nassara freundlich die verklebten Kinderhände, schaut in schüchterne Gesichter und dann den jubelnden Kindern hinterher. Neben „Nassara“ entwischt den spielenden Kindern aber auch ein überraschtes „la Blanche“ (die Weiße).

Während das für die Kinder ein großer Spaß ist, gilt den erwachsenen Burkinabé „Nassara“ als Begrüßungsfloskel: Wenn ich ein „Nassara“ hinter mir höre, bin ich gemeint und drehe ich mich um. Dann winke ich energisch oder halte den Standard-Smalltalk ab: „Bonjour. – Ca va? – Bonne journée.“ (Guten Tag. – Wie geht’s? – Schönen Tag noch. Oder ab 14 Uhr das gleiche mit „Bonsoir“ (Guten Abend).) Entweder sie erhoffen sich den Verkauf ihrer Produkte zu horrenden (ja, weil eben Nassara-) Preisen oder aber sie fragen ganz ungeniert, ob eine Hochzeit drin wäre, wenigstens aber eine Reise ins ferne Europa. Nachdem ich anfänglich noch sehr unbeholfen die Avancen freundlich abzulehnen versuchte, weiß ich nun um den burkinischen Humor, gerade gegenüber Nassara. Also stimme ich fröhlich lachend in das Heiratsangebot an, reiche zum Abschied die Hand und gehe lachend hinfort. Manchmal geht es aber doch nicht so lapidar. Denn die zweite wichtige Vokabel, die ich hier lernte ist dann auch französisch: accompagner – also begleiten. Habe ich endlich deutlich zu verstehen gegeben, dass ich ausgerechnet jetzt in diesem Moment, ach wie schade, mal keine Zeit habe, dann ist das auch kein Problem, „ich kann dich begleiten“. Oftmals wollen die Menschen aber auch einfach nur kennenlernen und ein wenig plaudern. Denn die dritte Lektion lautete: causer – plaudern.

Weil ich weder mit Moped noch mit Fahrrad meine Erledigungen mache, sondern immer noch schön zu Fuß, ich also nicht schnell davonbrausen kann, kalkuliere ich für den kurzen Weg zum Bäcker schon mal mehrere Stunden ein. Ein kleiner Einblick:

Direkt gegenüber von unserer „Villa“ steht Dianes Bretterverschlag, in unserem WG-Jargon jetzt „Kiste“ getauft. Dort steht mindestens Sere und erwartet wiederum mindestens ein engagiertes Winken mit „Bonjour. Ca va?“-Rufen. Mit Zeit und Muße ist schon mal ein Tee mit causer drin. Etwa zehn Meter weiter hat Wassa seine Kiste mit all den wichtigen Dingen fürs Leben eingerichtet: Waschmittel, Instant-Kaffee („Nescafé“-Monopol), Öl, Bonbons und natürlich causer. Nun kann ich entweder nach links zu Jabhet, dem Student der Wirtschaftswissenschaften, abbiegen oder geradeaus auf die Karten spielende Männerrunde zusteuern. Ich habe schätzungsweise hundert Meter und eine Stunde geschafft. Jetzt kann ich ein wenig Weg zurücklegen, nur noch kurze Grußfloskeln. Spätestens bei „Américain“, dem Hosenverkäufer, bleibe ich wieder für ein längeres Pläuschchen. Und schließlich, nach zwei Stunden, gelange ich zur Bäckerei. Für den Heimweg wähle ich eine andere Route, hihi. Mittlerweile kenne ich die kleinen Querpisten (noch) ohne feste causer-Institution.

Weil die Namen zu Beginn nur so auf mich einprasselten, ich aber beim garantiert näxten causer nicht der Peinlichkeit des Namenvergessens begegnen wollte, trage ich alle neuen Bekanntschaften möglichst zeitnah in mein Notizbüchlein ein; mit charakteristischem Wiedererkennungsmerkmal. Dann lunsch ich noch mal schnell auf den Namensspickzettel, bevor ich um die Ecke biege.

Das klingt alles sehr nach Urlaub. Ohja. Aber bedenkt: Das alles auf französisch. Ohlàlà. Einen besseren Französisch-Kurs gibt es nicht, inklusive ethnologischer Feldforschung.

3 Kommentare:

Christoph hat gesagt…

Sehr schön: Das "entdeckende" Nassara-Rufen!

carmen hat gesagt…

Oh, wie schön! Das klingt ja alles sehr nett. Und als hätte man dort viel Zeit...

Lisa hat gesagt…

Nachtrag:
Am Freitag war ich zum ersten Mal böse und richtig unfreundlich. Auf der Suche nach der deutschen Botschaft begleitete mich ein alt bekannter Tand-Verkäufer. Irgendwann dämmerte es mir, dass er den Weg selbst nicht kennt oder aber mich absichtlich nicht zum Ziel führt. Erst fragte er nach Geld für eine Cola, dann etwas mitleiderweckender nach Geld für Milch für sein Baby. Nöööh.
Irgendwann hab ich mich unfreundlich verabschiedet, dass ich nun alleine weitergehe und abschließend betont, dass wir keine Freunde seien. Irgendwo im Nirgendwo fand ich den Weg allein zurück. Nicht zur Botschaft, denn die schließt wie von deutschen Behörden gewöhnt pünktlich um zwölf, sondern nach Hause. Alle anderen natürlich total nett gemeinten Anquatschereien habe ich unfreundlich abgeblockt. Vielleicht doch mal ein Fahrrad kaufen.