Dienstag, 23. Juni 2009

Hommage an den Schulterblick

Vielleicht könnt ihr, die ihr eine Erlaubnis zum Führen eines Fahrzeuges habt, euch noch an die leidigen Ermahnungen des ambitionierten Fahrschullehrkörpers erinnern: Schulterblick! Bei jeder Kurve, bei jedem Abbiegen, bei jedem Ausscheren bitte immer schön angestrengt den Kopf über die Schulter werfen. Damals noch einigermaßen nervig, weil so ungewohnt für die Körperroutine, eröffnete die Notwendigkeit dieser körperlichen Verrenkung mit der Zeit doch so einige Vorteile für das unfallfreie Fahren. Nun, hier wird das nicht so gesehen. Der ouagalesische Verkehr birgt zunächst einiges Verwirrungspotential, worüber dann aber die Gewohnheit siegt. Das hohe Unfallrisiko aber bleibt.

Denn generell gilt: Alle fahren los und bremsen und biegen ab und überholen – so wie es ihnen beliebt. Das mag nun auch daran liegen, dass ein Führerschein ausschließlich für vierrädrige Untersätze notwendig ist. Und diese wiederum sind eindeutig in der Unterzahl im ouagalesischen Stadtverkehr. Am allerhäufigsten fahren hier Motorräder und Mopeds. Grob unterteilen möchte ich die Zweiräder in drei Kategorien. Zum einen gibt es da die beliebte P50 von Peugeot. Das ist ein Mofa ohne Blinker, ohne Tacho, ohne Schaltgetriebe, dafür mit Pedalen zum witzigen Herumstrampeln für das Motoranwerfen. Das ist technisch, aber auch prestigeträchtig die niedrigste Stufe. Die nächst höhere Kategorie teilen sich zwei Modelle: Die orange Yamaha und die moderne Matrix, Cypher oder Speed. Alle können blinken, schalten und die Geschwindigkeit muss nicht nur geschätzt werden. Die Yamaha ist eher old-school bis uncool, gilt dafür aber zumindest bei originär chinesischer Bauweise als zuverlässiger. Die schicke Variante der beplastikten und windschnittigen Cypher, Matrix oder Speed sind einfach mal cooler – und auch gemütlicher. Die Königsklasse ist dann die richtige Maschine, eine wirkliches Motorrad eben. Die Personenkraftwagen sind meistens alte Modelle, in Europa bestimmt als fahrtuntüchtig gestufte TÜV-Durchfaller. Hier und da verrät der internationale Länderaufkleber noch das Herkunftsland. Und manchmal lese ich lustige deutsche Werbesprüche auf vor allem Lieferwagen: „Blumen machen Freude“ von „Blumen Maier“ beispielsweise.

Mein ökologisches Bewusstsein, von dessen Existenz überhaupt ich erst hier erfuhr, hat dann auch bereits sehr früh Alarm geschlagen. Manches Mal, wenn ein fetter LKW, überladen und alt, sich bereits in der Ferne durch lauten Lärm und mächtige Abgaswolken ankündigt, denke ich mir: Gegen alle möglichen Krankheiten geimpft und Tabletten schluckend, letztlich wird mich doch eine Abgasvergiftung niederraffen. So entschied ich mich gegen die Anschaffung eines motorisierten Untersatzes; der Kauf eines geeignet Drahtesels scheiterte bislang noch an der Angst, gnadenlos über den Tisch gezogen zu werden. Zudem schwebt mir ein modernes Mountainbike mit mindestens 21-Gang-Schaltung vor; vielleicht etwas zu anspruchsvoll.

Glücklicherweise besitze ich aber zwei stolze Beine mit Füßen dran, Hurra!, so dass ich vor allem laufe, ganz simpel. Das wiederum wird von den burkinischen Menschen mit Respekt gezollt, überhaupt bemerkt und gerne mit Sport betitelt. Relativ schnell, weil notgedrungen, gewöhnte ich mich an die fehlenden Hilfsmittel für laufende Menschen. Fußwege gibt es generell nicht, ich bahne mir den Weg dort, wo mir Platz gewährt wird. Während ich mich in Deutschland gerne mal stumpf wartend an die rote Ampel stelle und erst artig bei grün die Straße überquere, hüpfe ich hier quer über die voll gestopfte Straße. Der Trick dabei: Mit Stolz geschwellter Brust ganz selbstbewusst dem Verkehr trotzen. Wenn ich dann die letzten Meter in ängstlichem Anbetracht der nahenden Blechkolonne im Laufschritt vollziehe, höre ich öfter mal ein aufmunterndes „Nassara, schnell, schnell!“.

Bei längeren Distanzen profitiere ich vom üppigen WG-Fuhrpark und schwinge mich auf den Sattel der P50. Holterdiepolter, über Stock und Stein. Alles ohne Helm, denn das ist zu warm und gar nicht zuträglich für das Haupthaar; Stichwort Helmfrisur. Glücklicherweise muss ich das auch nicht, denn als abhängig beschäftigter Mensch bei einer deutschen Entwicklungszusammenarbeits-Institution hingegen verpflichtet der Arbeitsvertrag zum Helmtragen. Tatsächlich nämlich sind Helme eher selten, fallen dann auch gleich auf. Und wie der mitwohnende Mensch Thomas richtig bemerkte, ist es fraglich, was nun wahrscheinlicher sei: Aufgrund eines unachtsamen Tempo-Mopeds aus der Seitenstraße auf der Straße zu verbluten, oder doch bei Temperaturen von 40 Grad plus ohne windige Abkühlung wegen des unfallschützendes Helmes einfach vom Moped zu fallen, weil die Eiweiße im Kopf gerinnen. Hm.

Weiter zur ouagalesischen Verkehrsmanier: Es gibt beispielsweise keine geregelte Anordnung der Fahrzeuge, die Motos fahren in vielfacher Reihe, schlängeln sich an der roten Ampel bis nach vorn zwischen den stehenden Autos hindurch. Ein links blinkendes Moped steht dann auch schon mal ganz rechts; nun, dann dauert es halt ein wenig länger beim Anfahren. Durch die fehlenden Straßenmalereien gibt es aber auch keine Sperrlinien oder –flächen, die verletzt werden könnten. Öfter mal ist der Weg durch ein Hindernis blockiert: ein langsam gurkendes Taxi, was einfach mal hoffnungslos überladen ist; oder ein waldschratparkendes Auto, was bis in die Fahrbahn hineinragt; oder Fahrräder und Mopeds, die eben nicht nur als Fortbewegungs-, sondern vor allem als Transportmittel verwendet werden, dann balanciert der fahrende Mensch eben eine gut drei Meter messende Metallstange auf der Schulter, ohne warnenden roten Wimpel freilich. Und dauernd fährt irgendetwas am Straßenrand los, ohne sich vorher über den Schulterblick nach hinten abzusichern, ob da gerade etwas angerumpelt kommt. An ampelfreien Kreuzungen wird das so geregelt: Die gerade fahrende Richtung hat so lange Vorfahrt, bis sich der Korso aus der wartende Straße bei der kleinsten Lücke in Bewegung setzt; dann sind die jetzt eben mal dran. Alles andere ergibt sich aus den wenigen Schildern; die Deutung eines „Stop“ ist nicht sonderlich schwierig, wird aber dann aber doch nicht immer beachtet. Die witzigen „Achtung Hückel!“-Schilder prägen sich spätestens nach dem ersten störenden Herumschütteln ein. Und der Rest wird eben an Ort und Stelle ausgehandelt.

Dennoch wird erstaunlich wenig gehupt – vielleicht auch weil die Hupe kaputt ist. Auch gibt es überraschend wenig Unfälle. Ich erkläre mir dieses Phänomen durch die allgemeine Defensivität, wenn auch nur nach vorne. Ich meine auch eine verdrehte Kräfte-Logik ausgemacht zu machen: je größer das Gefährt, desto umsichtiger die Fahrweise.

Um dem ganzen hier einen angekündigten literarischen Rahmen zu schenken: Aber mit Schulterblick wär’ das alles viel entspannter.

Freitag, 19. Juni 2009

Update

Ich dachte so bei mir, ich nutze die Publikationsplattform dieses Blogs, nicht nur um lustige Geschichte vom burkinischen Alltag zu berichten, sondern auch um zu verkünden, was ich hier gerade mache, so ganzheitlich betrachtet.
Ursprünglich kam ich nach Ouaga, um an der Université de Ouagadougou ein Semester zu studieren. Das geht nun leider doch nicht alles so. Denn wegen der vielen Streikereien der Dozierenden (!) sind die Studierenden in Verzug. Deswegen sind beispielsweise Einschreibungen für meine Präferenz (fünftes Jahr Politikwissenschaft) dieses Semester generell nicht möglich, erst wieder ab November, denn die anderen müssen erstmal fertig studieren. Da dieses Semester ja aber eigentlich sowieso dazu gedacht war, mich der französischen Sprache langsam anzunähern und in der neuen Umgebung einen Alltag einzurichten, ist das jetzt nicht so wild, dass ich doch nicht studieren kann. Also absolviere ich hier jetzt mein studienrelevantes Pflichtpraktikum von sechs Monaten. Das nun aber nicht etwa bei einer großen europäischen Organisation in einem eigenen Büro montags bis freitags von 8 bis fünf, neee.
Ich arbeite bei zwei burkinischen Associationen mit, relativ jung und klein, alles ehrenamtlich, also nebenberuflich, ohne Büro. Die eine Association gibt in Schulklassen Sensibilationsstunden zu AIDS, Familienplanung sowie Drogen und hilft auf Dörfern einkommensschaffende Maßnahmen zu installieren. Die andere Association kümmert sich vor allem um die Belange von Mädchen und jungen Frauen, will deren Schulbesuch sichern, aufklären, Selbstbewusstsein schaffen.
Und weil es sich gerade so schön anbietet, auch ein Hühner-Update an dieser Stelle: Unsere WG hat jetzt auch ein eigenes Huhn. Denn am Wochenende war ich mit der einen Association sechzig Kilometer nördlich von Ouaga, um die Dorf-Projekte zu besichtigen. Und ein Dorf war über meinen Besuch so dankbar, dass es mir ein Huhn vermachte. Das wurde dann bei der Rückreise nach Ouaga als Galionsfigur vorne auf das Motorrad geklemmt, mit den Füßchen um den Rückspiegel gewickelt. Nun scharrt es bei uns in Hof und Garten. Zum Schlafen muss es immer auf einen Baum gesetzt werden, sonst flattert es auf die Stuhllehne, um dort seinen Ersatz für die Hühnerstange zu finden. Momentan also ist unser Huhn Haustier. Mal schauen, wie lange noch.

Samstag, 6. Juni 2009

Was tun mit dem Huhn?

Schon etwas länger her, über Ostersonn- und -montag, reisten wir nach Kaya. Das ist ein kleines Städtchen hundert Kilometer nördlich von Ouaga. Zwar ist schon das burkinische Busfahren einen Bericht wert, aber heute geht es erstmal noch um ein anderes Erlebnis, das maßgeblich von einem Huhn handelt. Siehe auch Überschrift, nech.
In Kaya trafen wir dann andere Nassara, denn die Entwicklungshilfe-Szene Burkinas klüngelt. Da die Stadt Kaya selbst jetzt nicht soooho sehenswürdig ist, folgten wir dem Rat des Buches und beschlossen, zum Lac de Dême zu fahren. Und zwar mit dem Privatauto einer besserverdienenden UNO-Frau, einem normalen PKW, der für maximal fünf Menschen zugelassen ist – und zwar zu siebt. Als wir alle verstaut waren, rumpelten wir los. Im Stadtzentrum fielen wir noch gar nicht auf zwischen all den überladenen Gefährten. Als wir dann längere Zeit auf den immer gleich aussehenden Pisten herumkurvten, Hinweisschilder zum ersehnten Lac vergebens suchend, waren wir immerhin eine gern gesehene Attraktion. Nassara am Fenster winkte papst-gleich den Menschen zu. Nach mehrmaligem Fragen („jaja, immer geradeaus“) und einigen Unterbodenaufsetzern erreichten wir auf einer pistigen Landstraße einen großen schattenspendenden Baum, unter dem sich mehrere Frauen mit Kindern versammelten – und Mangos verkauften; ob der raren Verkehrsdichte schienen mir die Verkaufschancen nicht sonderlich hoch. Hier stellten wir dann unsere letzte Frage nach dem ersehnten Lac de Dême. Eine jugendliche Tochter erklärte sich sogleich bereit, uns zu begleiten, dann aber zu Fuß, auf dass wir unser Ausflugsziel auf den letzten Metern nicht doch noch verfehlen würden. Und schließlich: Okay, ein See halt, mit Wasser, joah. Viel wichtiger aber das ganze Drumherum. Denn neben der Tochter wuselten auch immer ihre kleinen Brüder um uns herum. Meistens kicherten sie verlegen. Die viele westliche Technik fanden sie zunächst ein wenig befremdlich, neckten sich dann aber gegenseitig, als sie sich auf dem soeben gedrehten Film wiedersahen. Hihi. Die verschüchterten Jungens auf einem doofen Klischee-Foto.
Dann ging es zurück zum geparkten Auto, zuvor aber noch ein Abstecher zum Dorf der Kinder. Zorkoum, falls es irgendwie interessieren sollte. Der Vater der Kinder war auch gleichzeitig der Dorfchef und lebte mit seinen mehreren Frauen und gefühlten TAUSEND Kindern auf einem Hof. Die Nachbarn etwa hundert Meter entfernt. Im Hof wurden uns sogleich Stühle zurecht gerückt. Die anderen, vor allem Kinder, tummelten sich um uns. In die Mitte wurde ein großer Topf mit Erdnüssen platziert, immer schön zugreifen. Sodann folgte der Plastikbecher mit Dorfwasser, der nun unter den Gästen die Höflichkeitsrunde machte, denn großes Dilemma: In jedem Tropeninstitut, in jedem Gesundheitsratgeber wird vor nicht industriell abgefülltem oder nicht selbst gereinigtem Wasser gewarnt; andererseits aber soll nun auch nicht die großzügige Gastfreundlichkeit verprellt werden. Alle nippten also einen gut gemeinten Alibischluck; unser spontan aus der Gruppe erkorener Chef-Korrespondent mit dem meisten sprachlichen und kulturellen Wissen trank dann dankenswerterweise den halben Topf leer. Dann murmelte der Vater etwas zu den Kindern, die daraufhin wild lospreschten. Achso, sie jagten ein Huhn. Als sie es von allen Seiten in die Enge getrieben hatten, wurde es an den Füßen gepackt und dort durch ein Band an jeder weiteren Bewegung gehindert. Das war nun das Geschenk an uns: ein lebendes Huhn. Oh, wie nett, janein, wirklich, ganz lieb. Wir reichten das Huhn zwischen uns herum und berieten: Was tun mit dem Huhn? Wir versuchten freundlich und mit Hinweis auf unsere Hotelübernachtung sowie die Reise nach Ouaga das Huhn zurückgeben zu dürfen. Aber nix da. Keine Nassara-Ausrede wurde zugelassen. Also wurde das Huhn eingepackt und im Fußraum des Autos transportiert. In Kaya überlebte es in der Hotelküche, oh Wunder. In Ouaga wurde es in einem WG-Hof ausgepackt. Zunächst wurde noch ein Hahn dazugekauft, in der Hoffnung einen kommerziellen Hühnerhof zu etablieren, aber der Hahn hat dann doch zu viel Krach gemacht und wurde wieder verkauft.