Freitag, 30. Oktober 2009

Palu, Palu

Was hier, denn freilich immer mit frankophonem „ü“, an Dieter Hallervordens epochalen Kaufmannsladen-Sketch erinnert, ist eigentlich ganz ernst. Es handelt sich nämlich um die irgendwie verniedlichende Kurzform von „paludisme“, Malaria also. Aber so ernst ist das ganze dann doch nicht.
Denn irgendwann bekommen alle mal Malaria. Besonders während der Regenzeit, wenn sich die bösen Moskitos nach Sonnenuntergang noch mal zahlreicher auf die Suche nach Blut machen. Der angereiste Mensch versucht die erstmal nur juckenden Mückenstiche allabendlich mit diversen Sprays und Cremes abzuwehren. Gegen die Krankheit selbst gibt es noch medikamentöse Vorbeugemaßnahmen, deren Nebenwirkungen – und auch Schutzmechanismus – aber allesamt fragwürdig sind. Und freilich umgibt das Bett immer der umständliche Moskitonetz-Mantel.
Der burkinische Mensch hält sich das nervige Gesumme durch punktuelles Armwedeln fern, was von vielmehr Übung im frühzeitigen Erkennen der Gefahr zeugt. Malaria wird dann auch nicht durch ärztliche Profession, sondern in stiller Selbstdiagnose erkannt. Als Behandlung gibt es gewöhnliche Schmerz- und Fiebersenk-Mittel; im Idealfall aus der Apotheke, schlechterdings von den zahlreichen Koffermenschen auf der Straße, die stapelweise Medikamente herumschleppen, mit eher nicht zertifizierter Beratung, dafür spottbillig.
Zumindest bei uns wird dann aber die Malaria-Diagnose durch Bluttest vorgezogen. (Ein kleines Anekdötchen und deswegen nur in Klammern: Die Wunde nach dem Blutabzapfen wird mit einem Pflaster abgedeckt, mit einem hautfarbenen Pflaster freilich – einem Pflaster, wie es im subsaharischen Afrika eben angemessen ist.) Die Symptome fallen auch allenthalben anders aus. Da ist alles dabei, von allgemeinem Unwohlsein über Kopf- und Gliederschmerzen oder Übelkeit und Durchfall bis hin zum seltenen Krankenhausaufenthalt. Zur Behandlung gibt es dann drei Tage Hammer-Tabletten, die alle Malaria-Reste im Körper vernichten sollen.
Die Malaria-Diagnose ist deswegen so schwierig, weil zunächst ganz andere Krankheitsbilder in Betracht gezogen werden. Tritt Malaria beispielsweise mit Durchfall auf, liegt die erste Ursachensuche meistens bei der Nahrung. Und das kann ja nun auch wiederum sehr vielseitig sein: Waren es verdorbene Speisen, verunreinigte Speisen oder einfach nur eine andere Bakterienflora? Ab und zu rumort es jedenfalls allen mal in der Magen-Darm-Gegend. Glück hat, bei wem es nach zwei Tagen vorübergeht. Es gibt aber auch ausdauernde Kulturen; da zieht sich der angestrengte Toilettengang über Wochen. Und das Labor kann in all den abgegebenen Pröbchen keine Ursache erkennen.
Und weil derlei Krankheiten hier so viel häufiger vorkommen, verlieren wir unseren über Jahre antrainierten Respekt vor dem eigentlich ganz intim behandelten Stuhl. In unserer WG haben wir ein Bewertungssystem für die Stuhl-Dichte eingeführt, auf dass der gerade befallene Mensch das aktuellste Update kurz und bündig mitteilen kann. Aber auch Ausführlichkeiten werden gerne mal berichtet und interessiert auf mögliche Ursachen diskutiert.

Mittwoch, 21. Oktober 2009

Von Glucken und Gockeln

Nach all der Wasser-Aufregung der letzten Wochen heute ein ganz trivialer Beitrag zu unserem Hühnerhof. Denn dieser scheint dem fernen Lese-Publikum noch am interessantesten. Wahrscheinlich weil dieser ach so afrikanische Alltag zu weit weg ist, um ihn nachvollziehen können, und weil die Aufzucht von Hühnern eben nicht so alltäglich ist, ein wenig spektakulär, aber wenigstens so viel Halbwissen vorhanden ist, um interessierte Nachfragen stellen zu können.
Beim letzten Hühner-Bericht waren es noch zwei: ein Hahn und ein Huhn. Allen Regeln des guten Spannungsaufbaus zum Trotze gebe ich hier und sofort die aktuelle Hühner-Zahl preis; Obacht nun: Sechzehn! Hoho. Ja, da ist so einiges passiert.
Zum einen war ich mal wieder im afrikanischen Hinterland und bekam im selben Dorf abermals ein Huhn geschenkt; diesmal ein wirkliches Huhn und keines, welches sich nach zwei Wochen krähenderweise als Hahn entpuppt. Während ich dieses Huhn geschenkt bekam (zur besseren Zuordnung nehme ich mal eine Huhn-Nummerierung vor, also „HuhnZwei“), und das in Ouaga gekaufte Huhn (analog also „HuhnEins“) bereits fleißig Eier legte, die wir zunächst noch in aufgeregter Freude über den Farm-Erfolg als Spiegeleier verspeisten, uns dann aber der Kritik der Nachbarn annahmen und die Eier nicht mehr einsammelten, begann also HuhnEins zu brüten. Nach drei Wochen wackelten fünf Flauschebälle durch den Garten. Von diesen fünfen sind mittlerweile aber nur noch drei geblieben. Ja, so ist das. Ist aber auch nicht soooho wild, sag ich mal ganz ökonomisch, denn seit einigen Tagen sind die Küken von HuhnZwei da. Sieben Küken. Ach, und sind die wieder putzig. Ganz flauschig und klein. Kein Hals, keine Kniegelenke. Das Kleinste muss nach vier Schritten immer anhalten, um durchzuatmen. Und wie auch zu Beginn bei HuhnEins scheint es HuhnZwei ebenfalls an der mütterlichen Umsicht zu fehlen. So scharrt es dann mal aufgeregt im Unkraut herum und kickt dabei eines ihrer Küken weg, weil die sich ja immer lästig in der Beingegend aufhalten. Das Küken aber rappelt sich purzelbaumschlagend schnell auf und wetzt sofort zum fußballgefährlichen Mutterfuß zurück. Vielleicht ist das auch nur die harte Küken-Schule, hier wird niemand verwöhnt.
Jetzt sind wir bei 13: sieben ganz kleine, drei große Küken, zwei Hühner und ein Hahn. Die Tierärztin, die wir auch schon mal engagierten, um dem weiteren Küken-Tod vorzubeugen, sprach von einem optimalen Hahn-Hühner-Verhältnis von eins zu zehn. Beim zweiten Besuch der Familie eines Nachbarn auf dem Lande bekam ich mal wieder ein Huhn geschenkt. Also sind wir schon bei eins zu drei; immer noch nicht gebührend, aber steigerungsfähig. Aaaber, aber: Im Zuge des Jahrhundertsregens verlor nämlich unser lieber Wachmann sein Haus und quartierte deswegen seine zwei Hähne bei uns ein. (Und das ist wirklich, wie ich mir stolz auf die eigene Schulter klopfend einreden möchte, ein Lob für unseren kleinen Hühnerhof.) Quantitatives Update also: drei Hähne und drei Hühner, so total ausgeglichen, so überhaupt nicht genügend für einen stolzen Hahn.
Unser Hahn hat aber die absolute Hühner-Hoheit und die beiden Gast-Hähne haben so gar nix zu sagen. Sie hängen merkwürdigerweise immer zusammen rum, schlafen auf einem Ast dicht nebeneinander, ruhen in der Mittagshitze aneinandergekuschelt im schattigen Sand. Und sie werden von allen verjagt. Selbst von den Hühnern. So konnte ich auch eine klare Essenshierarchie beobachten: Zunächst die von Andrea so ganz passend bezeichnete „Königsfamilie“, also unser Hahn, HuhnEins und deren Kinder, wobei alle anderen die spontanen Hackattacken des Hahnes fürchten. Wenn HuhnEins mit Kindern satt sind, kommt HuhnZwei, die aber die Gast-Hähne immer schon weggackert, wenn diese mal wieder einen schleichenden Annäherungsversuch starten. Genauso wird HuhnDrei verjagt. Wenn HuhnZwei dann auch gesättigt die Essensreste zurücklässt, dürfen die anderen drei. Die Essenhierarchie richtet sich also nach der Chronologie des Hofaufenthaltes. Und: Der Hahn speist generell mit allen Hühnern gern, wenn sie ihm nur genügend Freiraum lassen.
Also spielt sich unser Hahn als Hofältester und Hühner-Macho auf. Und das nervt. Der macht nämlich immer Krach, kräht blöde rum. Ja nun, könnte die wohlwollende Antwort beginnen, das haben Hähne so an sich, aber, entgegne ich berechtigt, doch nicht ab halb zwei Uhr morgens im strikt eingehaltenen Stunden-Takt. Und den Tag über natürlich auch ständig und überall. Ich möchte ihm wirklich mutwillige Böswilligkeit unterstellen. Gewöhnlich hält er sich zur frühmorgendlichen Kräh-Nerverei vor Annas Zimmer auf. Nun war Anna kürzlich verreist und als wüsste der Hahn, dass auf dieser Haushälfte niemand aufzuwecken wäre, stolzierte er nun vor meinem Zimmer auf und ab. Im Halbschlaf gefühlt alle fünf Sekunden wild gackernd. Zunächst vermutete ich eines der Hühner. Malte mir, ich hatte ja nun ausreichend Zeit, an Schlaf war nicht zu denken, die abenteuerlichsten Eventualitäten aus. Denn das Gackern distanzierte sich langsam, wurde aufgeregter und lauter bis es schließlich schlagartig aufhörte, aber nicht ohne vorher noch wild mit den Flügeln zu knattern. Ich dachte nun ängstlich an das plötzlich aufgekündigte Freundschaftsverhältnis zwischen Hühnern und Katze. Oder daran gar, dass eine Hühner-Mutter den Verlust eines Kükens schmerzlich beklagt. Als das blöde Gegacker eben nicht aufhören wollte, ging ich dem ganzen nach: Der Nerv-Gockel war’s. Wie immer. Und nix war. Er stolperte blöde über den Hof, mal stoppend und hässlich mit dem Kopf und dranhängenden Kopf- und Kinnlappen schlackernd. Einfach nur so. Weil er blöde ist.
Und weil Anna und Thomas morgens gerne mal mit einer äußerst überzeugten Schlachtempfehlung für den Hahn in den Tag starten und wir ja nun schon zum zweiten Mal Küken haben, steht der Plan jetzt fest: Der Hahn wird geschlachtet. Und dazu HuhnEins, denn ihre Küken sind mittlerweile flügge. Die Küken werden allesamt, soweit sie denn überleben, höhö, verschenkt. Die Gast-Hähne werden bald nach Hause geschickt. Und so bleiben noch HuhnZwei und HuhnDrei, ganz friedlich, die für frische Bio-Öko-Freiland-Eier sorgen.
Um schließlich noch eine der Fragen aufzuwerfen, die uns, die wir so ganz und gar nicht hühner-erfahren sind, immer alles umsorgt-belustigt ausprobieren, so beschäftigen: Was ist eigentlich ein Huhn? Ist das der Überbegriff des Federtieres? Wie etwa auch das Tier aus der Ferne in Ermangelung der genauen Geschlechtsbestimmung erstmal „Katze“ heißt und später vielleicht zum „Kater“ wird oder eben doch „Katze“ bleibt? Oder ist „Huhn“ schon die weibliche Bezeichnung des Federtieres? Und „Hahn“ dann die männliche? Oder beschreibt doch eher „Henne“ das weibliche Geschlecht? Wenn ja, was ist dann eine „Glucke“? Die brütende beziehungsweise aufziehende Henne, oder eben: das brütende beziehungsweise aufziehende Huhn? Und was wiederum ist ein „Gockel“, im Unterschied zu einem „Hahn“?

Donnerstag, 15. Oktober 2009

Psss!

Nein, ich habe mich nicht verschrieben, da fehlt kein t am Ende. Es geht nämlich auch gar nicht darum, Stille in einer unruhig-lauten Umgebung einzufordern. Das bur-kinische „Psss!“ wird vielmehr sehr laut herausgezischt, schon weil es ein ganz ande-res Ziel verfolgt: Es soll die Aufmerksamkeit eines Menschen erhaschen.
So wird in gastronomischen Einrichtungen aller Klassen laut herumge-psss-t, um die Bedienung heranzurufen. Und weil ich das so unglaublich unfreundlich finde, versu-che ich es immer wieder mal mit einem „Monsieur!“ und „Madame!“. Das wird aber regelmäßig überhört, weil ja so ungewohnt. Außerdem befindet sich das gezischte „Psss!“ auf einer ganz anderen Geräuschebene und kann sich so von allem Musik-lärm und Unterhaltungsgemurmel absetzen.
Nicht nur in der Gastronomie wird ge-psss-t, eigentlich überall. Ständig will jemand etwas von jemanden und versucht dessen Aufmerksamkeit anzurufen. Auch gerne mal über die vierspurige, vielbefahrene Straße hinweg. Und wenn die Kommunikati-onsdistanz die Hörmöglichkeit übertrifft, hilft gern jemand auf halber Strecke mit.
Sobald die gewünschte Person nun aufhorcht, das „Psss!“ endlich erhörte und sich fragend umschaut, aus welcher Richtung das Interesse kommen mag, geht es zur gestikalen Kommunikation über: Der rechte Arm des „Psss!“-Menschen wird ausge-streckt, mit dem Handrücken nach oben zeigend werden die Finger, bis auf den Daumen, immer wieder winkend heraus- und hereingestreckt, um so anzuzeigen, dass der andere Mensch jetzt mal rüberkommen soll.
Das auch gerne mal gemütlich in der Kneipe eingerichtet, das gesamte Prozedere an einen anderen Gast gerichtet durchführend. Und wenn der angerufene Mensch ob dieser unerhörten Unhöflichkeit nicht sofort springt, wird der burkinische Mensch nicht müde, diese inszenierte Herrschaftlichkeit immer und immer wieder vorzufüh-ren: „Psss!“ und Fingerwinken.

Dienstag, 6. Oktober 2009

Nach Regen kommt Sonnenschein

Zumindest meteorologisch stimmt diese Überschrift. Denn seit mittlerweile über zwei Wochen fiel kein Regen mehr. Entsprechend brutzeln die Temperaturen wie vor der Regenzeit, also um die 40 Grad. Die Hitze ist mal wieder unerbittlich, der Schweiß läuft unentwegt auch bei Nichttätigkeit, der Ventilator ist für eine angenehme Nachtruhe unabkömmlich. Und wir fragen uns, ob wir uns nach zwei Monaten Regenzeit und moderateren Temperaturen bereits so weit akklimatisiert haben, dass uns die neuerlichen Hitzerekorde dermaßen anstrengen.
Der ausfallende Regen und die an seine Stelle tretende Hitze lassen dann wenigstens alle potenziellen Keim-Pfützen, die sich immer so auf den Pisten sammelten, austrocknen und ermöglichen einen unbeschwerten Fußmarsch auch bei nächtlicher Schimmerbeleuchtung.
Die Bemühungen um die Regelung der Flut-Regen-Konsequenzen sind dann aber eher nicht so sonnenschein-schön. Gestern begann das neue Schuljahr, die Schulen werden wieder für den Unterricht benötigt. All die Notuntergekommenen wurden in der vergangenen Woche in große Zeltlager irgendwo in ganz Ouaga umgesiedelt. In hübsch parallel angeordneten Linien reihen sich die geräumigen Zelte in ödem Grau auf zuvor freistehenden Erdflächen. Abgegrenzt werden diese neuerlichen Notunterkünfte durch rot-weiße Zäune und Mauerreste. Der Eintritt wird von bewaffneten Uniform-Menschen überwacht. Auf dem Gelände verteilen sich wenige Plastikhaus-Toiletten. Und ein vereinzeltes UNICEF-Zelt in blitzblank-weiß präsentiert sich noch am Geländerand. Diese Kulisse erinnert in allem an all die wohlbekannten Kameraschwenke über irgendwie Not leidende und vorübergehend untergebrachte Menschenmassen, die in Nachrichtenjournalen über die nun geregelte Situation nach Katastrophen informieren.
Der burkinische Staat äußert sich wie gewohnt nicht. Vorvergangenen Freitag war ich bei einer Art Pressekonferenz. Geladen war unter anderem der Vize-Präsident der so genannten Ad hoc-Kommission, die einige Tage nach dem 1. September vom burkinischen Staat ins Leben gerufen wurde. Nun lässt der Name dieser Kommission schon auf nix großes hoffen, äußert sich die Unüberlegtheit doch bereits im Titel. Der Vize-Präsident brillierte dann auch durch perfekt inszenierte Viel-reden-und-nix-sagen-Taktik. Im einleitenden Referat schleuderte er den Zuhörenden zu viele Zahlen (und - versprecher) über die eingegangenen Spenden um die Ohren und mokierte sich darüber, dass es nun ja gar nicht leicht sei, Materialspenden in Zahlen umzurechnen. Was die Aufgabe dieser mal wieder ominösen Kommission nun aber ist, wurde nicht klar. Ob sie tatsächlich nur für die langweilige Auflistung der Spenden zuständig ist, oder ob vielleicht doch irgendwann verraten wird, wie diese Spenden verwaltet, also vergeben werden, ließ er unerwähnt.
Also werden die Menschen nun umgesiedelt und freuen sich überraschenderweise über das neue Domizil; insofern vielleicht doch ein wenig Sonnenschein. Wie lange sie aber in diesen gar nicht ferienzeltlager-atmosphärischen Geländen leben sollen, ist mal wieder nicht klar. Einige Menschen sollen sogar in ein fünfzehn Kilometer weit entferntes Dorf gebracht werden. Wie sie von dort ihr Leben, was ja weiterhin in Ouaga stattfindet, fortführen sollen, ist dem burkinischen Staat egal und so wehren sich die Zwangsumgesiedelten.
Bei uns in Dapoya sind die Pisten hinter unserem Haus vergleichsweise leer. Etwas gruselig anmutend flimmert in den Abendstunde hier und da ein Fernseher aus einem Ruinen-Haufen, der vor dem einzig noch stehenden Haus aufgestellt wurde. Meistens sammeln sich die noch verbliebenen Nachbarn darum. Die meisten Menschen aber sind bereits umgezogen oder leben jetzt eben in diesen Zeltlagern.
Wir haben letzte Woche unsere vielleicht letzte Privat-Spende getätigt. Ebenfalls betroffen von der Regenflut war nämlich das Müllabfuhr-Unternehmen ein paar Häu-ser weiter. Das Büro ist eingestürzt und die Transportkarren ziehenden Esel sind bis auf einem alle umgekommen. Früher kam einmal wöchentlich ein Esel-Karren zu uns und holte unseren Hausmüll ab. Aufgrund des Eselschwundes konzentriert sich das Unternehmen nun aber auf die Müllabfuhr von Großkunden wie Restaurants und Firmen. So kommen dann hin und wieder neu installierte Müll-Profiteure bei uns vorbei und fordern einen horrenden Abtransport-Preis. Um nun diese Situation, die ja nicht nur uns betrifft, zu ändern, gingen wir letzten Donnerstag mit dem Müll-Chef auf Esel-Kauf. Mal wieder ein ganz anderes Ereignis. Nun weiß ich nämlich, nach welchen Kriterien aus den herangerittenen Eseln der beste erwählt wird. Ein Esel-Chauffeur brachte dann das auserkorene Tier in den Morgenstunden von der abgelegenen Auswärtigkeit in die Großstadt.

Mittwoch, 23. September 2009

Die anderen Folgen des Regens

Nachdem nun die Soforthilfemaßnahmen gestartet sind, ist zumindest die Situation in den offiziellen Notunterkünften besser. Die privaten Sammelstellen, also mehrstöckige Gebäude, die von den Besitzern zur Verfügung gestellt wurden, werden von den großen Hilfsorganisationen weiterhin vernachlässigt. Denn die offiziellen Notunterkünfte sind Schulen und Kindergärten, meistens staatliche. Also wurde der von den untergekommenen Menschen zu Beginn irgendwie erwählte Stab von Verantwortlichen später oftmals durch einen Abgesandten der Bürgermeisterei abgelöst, um das Geschehen vor Ort zu regeln.
Vom Roten Kreuz wurden Listen ausgeteilt, auf denen sich alle Menschen, die ihren Wohnsitz verloren, eintragen sollen – nicht nur jene, die in den Notunterkünften leben, sondern auch jene, die es vorziehen, irgendwo anders zu schlafen. Und wer auf der Liste steht, bekommt von den gespendeten Lieferungen. So zumindest der zu Beginn groß verkündete Hilfsplan. In der Realität aber finden sich im Abstellraum eines Kindergartens beispielsweise zahlreiche Paletten von Mineralwasser sowie große Haufen Moskitonetze und Matten; in der Unterkunft selbst aber ist von derlei Dingen nichts zu sehen; ganz zu schweigen von der Möglichkeit, zumindest Teile der vielen Vorräte doch vielleicht an die vergessenen Privat-Häuser abzugeben. Die kostenlos verteilte Mittags-Portion für eine vierköpfige Familie, die nicht offiziell notuntergebracht ist, aber auf der ach so wichtigen Liste steht, beläuft sich dann auf eine Tasse Reis. Nicht nur die Nahrungsmittel, auch die Medikamente werden ausschließlich für die Menschen in den offiziellen Notunterkünften geradezu reserviert; in einer flüchtigen Ausrede wird auf die bestimmt noch ankommenden Menschen verwiesen. Vonseiten der weltweit agierenden Groß-Organisationen gibt es anscheinend keinerlei Notwendigkeit der Nachbearbeitung, ob die abgegebenen Dinge denn auch wirklich da ankommen, wofür sie ursprünglich angedacht waren. So wird auf der einen Seite fleißig gebunkert, während auf der anderen Seite spärlich gelebt wird wie bisher.
Wenn den vergessenen Menschen in den Privat-Häusern dann der privat gespendete Sack Reis sowie das viele Gemüse in den Hof gestellt wird, fragen sie zuallererst nach Café und Spaghetti – und das gar nicht mal schüchtern. So ist dann auch in einem Spendenaufruf für eine offizielle Notunterkunft bei der Auflistung der benötigten Dinge merkwürdigerweise immer wieder von Café zu lesen.
Interessant auch die Entwicklung der Mietpreise. Anfangs noch nur in den betroffenen Vierteln, mittlerweile in ganz Ouaga sind die Preise für eine Monatsmiete gerne mal ums vierfache nach oben geschnellt. Bleibt noch die Möglichkeit, das zerfallene Haus wieder aufzubauen. Nun ist aber auch der Preis für einen Sack Zement erschreckend gestiegen, was irgendwie mit einem angeblichen Problem bei der Produktion erklärt wird.
Andererseits ist vielen Menschen noch verboten, ihr Haus wieder zu errichten, so beispielsweise in den Pisten hinter unserem Haus. In den letzten zwei Pisten vor den Barrages war das Bauen und Wohnen sowieso schon immer verboten, eben aufgrund von Überschwemmungsgefahr. Nun will der burkinische Staat anscheinend all die gefährdeten Grundstücke aufkaufen, den Bewohnern das Geld geben, auf dass diese sich dann ein neues Grundstück südlich des Zentrums kaufen, wo eine große Fläche brach liegt.
Also gestaltet sich der Anblick zumindest bei uns im Viertel immer noch vergleichsweise unaufgeräumt. Nur der burkinische Sarkasmus oder aber das schlichte Nicht-besser-wissen zeigt sich, wenn etwa eine noch vereinzelt stehengebliebene Frontmauer von wackelig angelehnten Stöcken gehalten wird, nur weil die Frontseite so hübsch bemalt wurde, mit dem Logo und den Öffnungszeiten des Büros, was sich einmal in dem Haus mit den restlichen Mauern befand. Ansonsten wird der übliche Straßenverkauf auch vor der Ruine wieder aufgenommen. Der Moped-Mechaniker machte sofort am Folgetag des Regens wieder auf, vor der Garage, einer Strohhütte, parkten wie gewohnt die zu reparierenden Motos; einziger Unterschied nun, dass die Motos abends abgeholt werden müssen und nicht wie sonst im Hof geparkt werden können, denn der Hof steht nicht mehr. Hier und da wurden ausgewaschene Plastiktüten in der Sonne getrocknet. Die vielen kleinen Mini-Lebensmittelgeschäfte wurden auch letzte Woche noch ausgeräumt und auf Schäden kontrolliert. Parallel dazu, seit etwa zwei Wochen, riecht es an der einen Stelle, in der Nähe eines solchen kleinen Lädchens, dann eben auch auffallend stark nach Sauerkraut. Während wir uns an deutsche Küche erinnert fühlen, begründet der burkinische Nachbar den Duft mit vergammelten Produkten.
Abgesehen von obstrusen Ankündigungen zur Zwangsverstaatlichung kommt weiterhin nicht viel vom burkinischen Staat. Die zahlreichen Großspenden anderer Staaten oder großzügiger Privatpersonen werden rühmend verkündet. Das staatliche Wasserwerk betont in einer groß angelegten SMS-Aktion, das Wasser sei gegen alle anders lautenden Berichte genießbar und sauber. Zuletzt noch versandte der Staat zahlreiche SMS, in denen er auf die weiterhin bestehende Möglichkeit des Spendenabgebens hinwies. Was mit den vielen Spenden passiert, weiß so recht niemand. Auch ist unklar, was ab Anfang Oktober passieren soll, wenn der offizielle Schulunterricht wieder beginnt. Es geht das Gerücht, all die Menschen der Notunterkünfte sollen in einer Art Mehrzweckhalle untergebracht werden.
Ich frage mich dann noch, wieso weiterhin so viele Menschen in Notunterkünften wohnen oder es vorziehen, in ihren zerfallenen Ruinen oder schlichtweg auf der Straße zu schlafen. Schließlich wird doch immer das warmherzige Verwandt- und Bekanntschaftsgeflecht der Solidarität sowie die jederzeit bedingungslose Hilfsbereitschaft hochgehalten, gerne auch in scharfer Abgrenzung zu der anonym-isolierten Vergesellschaftung der westlichen Welt. Anscheinend aber funktioniert dieses hochgepriesene System als theoretische Schablone in einer Diskussion, kann sich aber nicht so recht in der Realität beweisen. Auf einmal werden alle irgendwie eigenbrötlerisch.

Freitag, 11. September 2009

Die Folgen des Regens

Letzte Woche berichtete ich noch recht oberflächlich von der Situation in Ouaga nach der Regen-Flut. Um den eher lockeren Stil des hiesigen Unterfangens fortzuführen und auch um nicht über die mitleiderrgende Strenge zu schlagen. Mittlerweile aber bin ich im überrumpelten Bilde über die Auswirkungen, ganz besonders hier in Dapoya.

In den drei Pisten hinter unserem Haus bis zu den Barrages steht kaum noch ein Haus, stattdessen viele Trümmerhaufen. Der Großteil der nun obdachlosen Menschen ist in provisorisch eingerichteten Notunterkünften untergekommen; das sind vor allem Schulen, vereinzelt auch Höfe von Privathäusern. In allen Auffanglagern aber fehlt es an allem: Trinkwasser (denn das Leitungswasser ist verunreinigt), Nahrungsmittel (selbst Töpfe zur Zubereitung), medizinische und hygienische Versorgung (allgemeine Epidemie-Gefahr), und überhaupt Platz. Der burkinische Staat lässt auf sich warten. Mittlerweile waren alle administrativen Verantwortlichen, vom Bezirksbürgermeister bis zum Staatspräsidenten, für eine kurze Stippvisite im Viertel, um zumindest alibihalber Betroffenheit zu bekunden. Den wohnungslosen Menschen wurden im Angesicht des Blitzlichtgewitters der Medien hoffnungsfrohe Versprechen verkündet. Diese Aussicht aber wird ganz sicher noch auf sich warten lassen.

Dabei ist gerade jetzt punktuelle Soforthilfe ganz wichtig. Und tatsächlich setzte sich das ach so große Hilfsaufgebot aller namhafter internationaler Organisationen mit hoch humanitärem Anspruch in Gang, ganz langsam, nach einer Woche. Die kostenfreie und ausreichende Nahrungsmittelversorgung in den Notunterkünften soll garantiert sein, es sollen Impfstoffe und Medikamente zur Verfügung gestellt werden, ebenso Matten und Moskitonetze.

Aufgrund der schier überforderten Situation in den Notunterkünften aber ziehen dann viele Menschen ihren eigenen Trümmerhaufen als Schlafplatz vor, auch weil sie hier auf den noch verbliebenen Besitz aufpassen können. Abends kommen sie von ihren Tagesgeschäften, etwa der verzweifelten Suche nach einer neuen Bleibe, zu einem spontan installierten Sammelplatz, einem halb verfallenen Hof, zusammen, um hier den Fernseher einzu- und vor ihm vom Erlebten abzuschalten.

Da wir in unserer Wohngemeinschaft nun mitten im betroffenen Viertel leben, kriegen wir das alles unmittelbar mit. Wenn wir das Tor zu unserer unbeschadeten Insel des Luxus’ schließen, wirkt beinahe alles wie immer. Nur dass wir jetzt zwei neue Mitbewohner haben. Zwei befreundete Nachbarn verloren ihre Häuser und wohnen nun bei uns. Der Salon ist ja groß genug. Am Tag des Regens selber übernachteten noch einige Menschen in unserem Hof, machten sich aber am Folgemorgen auf die unschöne Suche ihres wahrscheinlich verfallenen Hauses. Wenn wir unseren Hof verlassen, meldet sich die böse Realität zurück. Ich bekomme immer ganz schlechte Laune und ein unschönes Bauchgrummeln. Also entschlossen wir, vor allem für die Nachbarn, die nicht in den Notunterkünften leben, etwas zu tun. Irgendwie, irgendwas. Einmal täglich kauften wir ein bisschen was zu essen; Baguette mit Sardinen, Café und Reis. Das überbrachte dann der bei uns wohnende Nachbar den Menschen im Sammelhof. Denn wir grämen uns vor dem unangenehmen und so gar nicht gerechtfertigten Glanz spendabler Großzügigkeit. Dennoch wird uns nun auf der Straße von fremden Menschen ein „Dankeschön“ hinterher gerufen oder Menschen bedanken sich überschwänglich vor unserem Haus wartend, wenn wir gerade nach Hause kommen. Naja.

Freitag, 4. September 2009

Der Regen des 1. September

Nachdem der Beginn der Regenzeit immer wieder durch neue Prognosen verscho-ben wurde, begann sie dann doch so etwa Anfang Juli – und mit ihr die ersehnte Ab-kühlung. Also regnete es durchschnittlich alle drei Tage, mal als halbstündiger Gewit-terguss, mal als grauer Nieseltag. Die Temperaturen sanken durchaus auf 25 Grad, so dass der Pullover manches Mal unabdingbar war. Diese Regenzeit dauerte etwa zwei Monate an; im September, so hieß es, würde es weniger oft regnen, dafür dann aber richtig doll.
Diese Prognose bestätigte sich nun just am 1. September auf besonders böse Wei-se. Morgens um fünf begann es zu regnen und dauerte lange zehn Stunden an. Aber eben kein leichter Nieselregen, sondern beinahe die gesamte Zeit kräftig prasselnd. In dieser Form zum ersten Mal in der burkinischen Wetterchronologie erlebt und deswegen mit fatalen Folgen. Ganz besonders für das Viertel, in dem auch ich woh-ne, denn Dapoya liegt in einer Art Kessel in Ouaga. Also sammelte sich hier erstens das Wasser der Stadt und zweitens schwappte das Wasser aus den Barrages über, so einer Art Staudamm mit meerähnlicher Atmosphäre, die sich direkt im Norden an Dapoya anschließen. Das Wasser stieg. Auf dem Weg vor unserem Haus ging das Wasser aufgrund eine kleinen Senke in der Wegesmitte bis zum Bauchnabel; ab und zu schwappte das Wasser über unsere Garagenschwelle. Auf den Pisten hinter un-serem Haus ging das Wasser bis zum Hals.
Das Wasser an sich ist schon schlimm genug. Es dringt in Häuser ein und hinterlässt schmutziges Chaos. Während des Regens verließen die Menschen ihre Häuser und sammelten sich teilweise erstmal in unserer Garage, weil sie hier das katastrophale Treiben regengeschützt beobachten konnten. Nun ist aber die Bauweise besonders alter Häuser nicht mehr sonderlich robust, so dass das viele Wasser den Mörtel po-rös werden lässt; die Mauern werden zu einer keksigen Masse, wie es ein Nachbar bildlich beschrieb. Also fielen hier und da immer wieder Häuser ein oder eine Wand kippte in den Pistenfluss. Wenn es in der Umgebung mal wieder laut krachte, konn-ten die Menschen nur erahnen, ob das gerade ihr eigenes Haus war. Trotz der ge-fährlichen Strömung und der Ungewissheit, was sich da in der braunen Wasserbrühe so alles sammelt, wateten sie zu ihren Häusern und brachten Elektrogeräte und Mo-torräder in Sicherheit – vor dem Wasser, aber auch vor Dieben.
Viele Menschen verloren ihre Häuser. Wenn sie es nicht mehr schafften, ihr Hab und Gut vorher irgendwie zu sichern und woanders unterzustellen, ist es meistens im Schlamm verschollen oder weggespült worden oder einfach nur kaputt. Manchmal konnten noch am nächsten Tag, denn der Wasserspiegel sank dann doch überra-schend schnell, Möbel herausgezogen, wichtige Dokumente zusammengesammelt werden. Andere hatten weniger Unglücksglück und verloren alles.
Überall in Dapoya präsentieren sich nun Trümmerhaufen mit dazwischen verteilten Habseligkeiten. Immer wieder fallen klaffende Lücken in der Häuserfront auf. Auf noch stehenden Mauern und zusammengefallenen Ruinen trocknen über weite Stre-cken hinweg Kleidungsstücke. Manche Wege sind bis heute nicht passierbar, weil so viel Zeug herumliegt und weil sich dort das Wasser immer noch zu kleinen Seen sammelt.
Aber die burkinischen Menschen gehen überraschend gelassen mit dieser Situation um. Mit gewohntem Realismus sitzen sie auf den Resten ihres Hauses, waschen Wäsche, suchen, was zu retten ist, um sich irgendwie neu einzurichten.