Vom Roten Kreuz wurden Listen ausgeteilt, auf denen sich alle Menschen, die ihren Wohnsitz verloren, eintragen sollen – nicht nur jene, die in den Notunterkünften leben, sondern auch jene, die es vorziehen, irgendwo anders zu schlafen. Und wer auf der Liste steht, bekommt von den gespendeten Lieferungen. So zumindest der zu Beginn groß verkündete Hilfsplan. In der Realität aber finden sich im Abstellraum eines Kindergartens beispielsweise zahlreiche Paletten von Mineralwasser sowie große Haufen Moskitonetze und Matten; in der Unterkunft selbst aber ist von derlei Dingen nichts zu sehen; ganz zu schweigen von der Möglichkeit, zumindest Teile der vielen Vorräte doch vielleicht an die vergessenen Privat-Häuser abzugeben. Die kostenlos verteilte Mittags-Portion für eine vierköpfige Familie, die nicht offiziell notuntergebracht ist, aber auf der ach so wichtigen Liste steht, beläuft sich dann auf eine Tasse Reis. Nicht nur die Nahrungsmittel, auch die Medikamente werden ausschließlich für die Menschen in den offiziellen Notunterkünften geradezu reserviert; in einer flüchtigen Ausrede wird auf die bestimmt noch ankommenden Menschen verwiesen. Vonseiten der weltweit agierenden Groß-Organisationen gibt es anscheinend keinerlei Notwendigkeit der Nachbearbeitung, ob die abgegebenen Dinge denn auch wirklich da ankommen, wofür sie ursprünglich angedacht waren. So wird auf der einen Seite fleißig gebunkert, während auf der anderen Seite spärlich gelebt wird wie bisher.
Wenn den vergessenen Menschen in den Privat-Häusern dann der privat gespendete Sack Reis sowie das viele Gemüse in den Hof gestellt wird, fragen sie zuallererst nach Café und Spaghetti – und das gar nicht mal schüchtern. So ist dann auch in einem Spendenaufruf für eine offizielle Notunterkunft bei der Auflistung der benötigten Dinge merkwürdigerweise immer wieder von Café zu lesen.
Interessant auch die Entwicklung der Mietpreise. Anfangs noch nur in den betroffenen Vierteln, mittlerweile in ganz Ouaga sind die Preise für eine Monatsmiete gerne mal ums vierfache nach oben geschnellt. Bleibt noch die Möglichkeit, das zerfallene Haus wieder aufzubauen. Nun ist aber auch der Preis für einen Sack Zement erschreckend gestiegen, was irgendwie mit einem angeblichen Problem bei der Produktion erklärt wird.
Andererseits ist vielen Menschen noch verboten, ihr Haus wieder zu errichten, so beispielsweise in den Pisten hinter unserem Haus. In den letzten zwei Pisten vor den Barrages war das Bauen und Wohnen sowieso schon immer verboten, eben aufgrund von Überschwemmungsgefahr. Nun will der burkinische Staat anscheinend all die gefährdeten Grundstücke aufkaufen, den Bewohnern das Geld geben, auf dass diese sich dann ein neues Grundstück südlich des Zentrums kaufen, wo eine große Fläche brach liegt.
Also gestaltet sich der Anblick zumindest bei uns im Viertel immer noch vergleichsweise unaufgeräumt. Nur der burkinische Sarkasmus oder aber das schlichte Nicht-besser-wissen zeigt sich, wenn etwa eine noch vereinzelt stehengebliebene Frontmauer von wackelig angelehnten Stöcken gehalten wird, nur weil die Frontseite so hübsch bemalt wurde, mit dem Logo und den Öffnungszeiten des Büros, was sich einmal in dem Haus mit den restlichen Mauern befand. Ansonsten wird der übliche Straßenverkauf auch vor der Ruine wieder aufgenommen. Der Moped-Mechaniker machte sofort am Folgetag des Regens wieder auf, vor der Garage, einer Strohhütte, parkten wie gewohnt die zu reparierenden Motos; einziger Unterschied nun, dass die Motos abends abgeholt werden müssen und nicht wie sonst im Hof geparkt werden können, denn der Hof steht nicht mehr. Hier und da wurden ausgewaschene Plastiktüten in der Sonne getrocknet. Die vielen kleinen Mini-Lebensmittelgeschäfte wurden auch letzte Woche noch ausgeräumt und auf Schäden kontrolliert. Parallel dazu, seit etwa zwei Wochen, riecht es an der einen Stelle, in der Nähe eines solchen kleinen Lädchens, dann eben auch auffallend stark nach Sauerkraut. Während wir uns an deutsche Küche erinnert fühlen, begründet der burkinische Nachbar den Duft mit vergammelten Produkten.
Abgesehen von obstrusen Ankündigungen zur Zwangsverstaatlichung kommt weiterhin nicht viel vom burkinischen Staat. Die zahlreichen Großspenden anderer Staaten oder großzügiger Privatpersonen werden rühmend verkündet. Das staatliche Wasserwerk betont in einer groß angelegten SMS-Aktion, das Wasser sei gegen alle anders lautenden Berichte genießbar und sauber. Zuletzt noch versandte der Staat zahlreiche SMS, in denen er auf die weiterhin bestehende Möglichkeit des Spendenabgebens hinwies. Was mit den vielen Spenden passiert, weiß so recht niemand. Auch ist unklar, was ab Anfang Oktober passieren soll, wenn der offizielle Schulunterricht wieder beginnt. Es geht das Gerücht, all die Menschen der Notunterkünfte sollen in einer Art Mehrzweckhalle untergebracht werden.
Ich frage mich dann noch, wieso weiterhin so viele Menschen in Notunterkünften wohnen oder es vorziehen, in ihren zerfallenen Ruinen oder schlichtweg auf der Straße zu schlafen. Schließlich wird doch immer das warmherzige Verwandt- und Bekanntschaftsgeflecht der Solidarität sowie die jederzeit bedingungslose Hilfsbereitschaft hochgehalten, gerne auch in scharfer Abgrenzung zu der anonym-isolierten Vergesellschaftung der westlichen Welt. Anscheinend aber funktioniert dieses hochgepriesene System als theoretische Schablone in einer Diskussion, kann sich aber nicht so recht in der Realität beweisen. Auf einmal werden alle irgendwie eigenbrötlerisch.