Mittwoch, 23. September 2009

Die anderen Folgen des Regens

Nachdem nun die Soforthilfemaßnahmen gestartet sind, ist zumindest die Situation in den offiziellen Notunterkünften besser. Die privaten Sammelstellen, also mehrstöckige Gebäude, die von den Besitzern zur Verfügung gestellt wurden, werden von den großen Hilfsorganisationen weiterhin vernachlässigt. Denn die offiziellen Notunterkünfte sind Schulen und Kindergärten, meistens staatliche. Also wurde der von den untergekommenen Menschen zu Beginn irgendwie erwählte Stab von Verantwortlichen später oftmals durch einen Abgesandten der Bürgermeisterei abgelöst, um das Geschehen vor Ort zu regeln.
Vom Roten Kreuz wurden Listen ausgeteilt, auf denen sich alle Menschen, die ihren Wohnsitz verloren, eintragen sollen – nicht nur jene, die in den Notunterkünften leben, sondern auch jene, die es vorziehen, irgendwo anders zu schlafen. Und wer auf der Liste steht, bekommt von den gespendeten Lieferungen. So zumindest der zu Beginn groß verkündete Hilfsplan. In der Realität aber finden sich im Abstellraum eines Kindergartens beispielsweise zahlreiche Paletten von Mineralwasser sowie große Haufen Moskitonetze und Matten; in der Unterkunft selbst aber ist von derlei Dingen nichts zu sehen; ganz zu schweigen von der Möglichkeit, zumindest Teile der vielen Vorräte doch vielleicht an die vergessenen Privat-Häuser abzugeben. Die kostenlos verteilte Mittags-Portion für eine vierköpfige Familie, die nicht offiziell notuntergebracht ist, aber auf der ach so wichtigen Liste steht, beläuft sich dann auf eine Tasse Reis. Nicht nur die Nahrungsmittel, auch die Medikamente werden ausschließlich für die Menschen in den offiziellen Notunterkünften geradezu reserviert; in einer flüchtigen Ausrede wird auf die bestimmt noch ankommenden Menschen verwiesen. Vonseiten der weltweit agierenden Groß-Organisationen gibt es anscheinend keinerlei Notwendigkeit der Nachbearbeitung, ob die abgegebenen Dinge denn auch wirklich da ankommen, wofür sie ursprünglich angedacht waren. So wird auf der einen Seite fleißig gebunkert, während auf der anderen Seite spärlich gelebt wird wie bisher.
Wenn den vergessenen Menschen in den Privat-Häusern dann der privat gespendete Sack Reis sowie das viele Gemüse in den Hof gestellt wird, fragen sie zuallererst nach Café und Spaghetti – und das gar nicht mal schüchtern. So ist dann auch in einem Spendenaufruf für eine offizielle Notunterkunft bei der Auflistung der benötigten Dinge merkwürdigerweise immer wieder von Café zu lesen.
Interessant auch die Entwicklung der Mietpreise. Anfangs noch nur in den betroffenen Vierteln, mittlerweile in ganz Ouaga sind die Preise für eine Monatsmiete gerne mal ums vierfache nach oben geschnellt. Bleibt noch die Möglichkeit, das zerfallene Haus wieder aufzubauen. Nun ist aber auch der Preis für einen Sack Zement erschreckend gestiegen, was irgendwie mit einem angeblichen Problem bei der Produktion erklärt wird.
Andererseits ist vielen Menschen noch verboten, ihr Haus wieder zu errichten, so beispielsweise in den Pisten hinter unserem Haus. In den letzten zwei Pisten vor den Barrages war das Bauen und Wohnen sowieso schon immer verboten, eben aufgrund von Überschwemmungsgefahr. Nun will der burkinische Staat anscheinend all die gefährdeten Grundstücke aufkaufen, den Bewohnern das Geld geben, auf dass diese sich dann ein neues Grundstück südlich des Zentrums kaufen, wo eine große Fläche brach liegt.
Also gestaltet sich der Anblick zumindest bei uns im Viertel immer noch vergleichsweise unaufgeräumt. Nur der burkinische Sarkasmus oder aber das schlichte Nicht-besser-wissen zeigt sich, wenn etwa eine noch vereinzelt stehengebliebene Frontmauer von wackelig angelehnten Stöcken gehalten wird, nur weil die Frontseite so hübsch bemalt wurde, mit dem Logo und den Öffnungszeiten des Büros, was sich einmal in dem Haus mit den restlichen Mauern befand. Ansonsten wird der übliche Straßenverkauf auch vor der Ruine wieder aufgenommen. Der Moped-Mechaniker machte sofort am Folgetag des Regens wieder auf, vor der Garage, einer Strohhütte, parkten wie gewohnt die zu reparierenden Motos; einziger Unterschied nun, dass die Motos abends abgeholt werden müssen und nicht wie sonst im Hof geparkt werden können, denn der Hof steht nicht mehr. Hier und da wurden ausgewaschene Plastiktüten in der Sonne getrocknet. Die vielen kleinen Mini-Lebensmittelgeschäfte wurden auch letzte Woche noch ausgeräumt und auf Schäden kontrolliert. Parallel dazu, seit etwa zwei Wochen, riecht es an der einen Stelle, in der Nähe eines solchen kleinen Lädchens, dann eben auch auffallend stark nach Sauerkraut. Während wir uns an deutsche Küche erinnert fühlen, begründet der burkinische Nachbar den Duft mit vergammelten Produkten.
Abgesehen von obstrusen Ankündigungen zur Zwangsverstaatlichung kommt weiterhin nicht viel vom burkinischen Staat. Die zahlreichen Großspenden anderer Staaten oder großzügiger Privatpersonen werden rühmend verkündet. Das staatliche Wasserwerk betont in einer groß angelegten SMS-Aktion, das Wasser sei gegen alle anders lautenden Berichte genießbar und sauber. Zuletzt noch versandte der Staat zahlreiche SMS, in denen er auf die weiterhin bestehende Möglichkeit des Spendenabgebens hinwies. Was mit den vielen Spenden passiert, weiß so recht niemand. Auch ist unklar, was ab Anfang Oktober passieren soll, wenn der offizielle Schulunterricht wieder beginnt. Es geht das Gerücht, all die Menschen der Notunterkünfte sollen in einer Art Mehrzweckhalle untergebracht werden.
Ich frage mich dann noch, wieso weiterhin so viele Menschen in Notunterkünften wohnen oder es vorziehen, in ihren zerfallenen Ruinen oder schlichtweg auf der Straße zu schlafen. Schließlich wird doch immer das warmherzige Verwandt- und Bekanntschaftsgeflecht der Solidarität sowie die jederzeit bedingungslose Hilfsbereitschaft hochgehalten, gerne auch in scharfer Abgrenzung zu der anonym-isolierten Vergesellschaftung der westlichen Welt. Anscheinend aber funktioniert dieses hochgepriesene System als theoretische Schablone in einer Diskussion, kann sich aber nicht so recht in der Realität beweisen. Auf einmal werden alle irgendwie eigenbrötlerisch.

Freitag, 11. September 2009

Die Folgen des Regens

Letzte Woche berichtete ich noch recht oberflächlich von der Situation in Ouaga nach der Regen-Flut. Um den eher lockeren Stil des hiesigen Unterfangens fortzuführen und auch um nicht über die mitleiderrgende Strenge zu schlagen. Mittlerweile aber bin ich im überrumpelten Bilde über die Auswirkungen, ganz besonders hier in Dapoya.

In den drei Pisten hinter unserem Haus bis zu den Barrages steht kaum noch ein Haus, stattdessen viele Trümmerhaufen. Der Großteil der nun obdachlosen Menschen ist in provisorisch eingerichteten Notunterkünften untergekommen; das sind vor allem Schulen, vereinzelt auch Höfe von Privathäusern. In allen Auffanglagern aber fehlt es an allem: Trinkwasser (denn das Leitungswasser ist verunreinigt), Nahrungsmittel (selbst Töpfe zur Zubereitung), medizinische und hygienische Versorgung (allgemeine Epidemie-Gefahr), und überhaupt Platz. Der burkinische Staat lässt auf sich warten. Mittlerweile waren alle administrativen Verantwortlichen, vom Bezirksbürgermeister bis zum Staatspräsidenten, für eine kurze Stippvisite im Viertel, um zumindest alibihalber Betroffenheit zu bekunden. Den wohnungslosen Menschen wurden im Angesicht des Blitzlichtgewitters der Medien hoffnungsfrohe Versprechen verkündet. Diese Aussicht aber wird ganz sicher noch auf sich warten lassen.

Dabei ist gerade jetzt punktuelle Soforthilfe ganz wichtig. Und tatsächlich setzte sich das ach so große Hilfsaufgebot aller namhafter internationaler Organisationen mit hoch humanitärem Anspruch in Gang, ganz langsam, nach einer Woche. Die kostenfreie und ausreichende Nahrungsmittelversorgung in den Notunterkünften soll garantiert sein, es sollen Impfstoffe und Medikamente zur Verfügung gestellt werden, ebenso Matten und Moskitonetze.

Aufgrund der schier überforderten Situation in den Notunterkünften aber ziehen dann viele Menschen ihren eigenen Trümmerhaufen als Schlafplatz vor, auch weil sie hier auf den noch verbliebenen Besitz aufpassen können. Abends kommen sie von ihren Tagesgeschäften, etwa der verzweifelten Suche nach einer neuen Bleibe, zu einem spontan installierten Sammelplatz, einem halb verfallenen Hof, zusammen, um hier den Fernseher einzu- und vor ihm vom Erlebten abzuschalten.

Da wir in unserer Wohngemeinschaft nun mitten im betroffenen Viertel leben, kriegen wir das alles unmittelbar mit. Wenn wir das Tor zu unserer unbeschadeten Insel des Luxus’ schließen, wirkt beinahe alles wie immer. Nur dass wir jetzt zwei neue Mitbewohner haben. Zwei befreundete Nachbarn verloren ihre Häuser und wohnen nun bei uns. Der Salon ist ja groß genug. Am Tag des Regens selber übernachteten noch einige Menschen in unserem Hof, machten sich aber am Folgemorgen auf die unschöne Suche ihres wahrscheinlich verfallenen Hauses. Wenn wir unseren Hof verlassen, meldet sich die böse Realität zurück. Ich bekomme immer ganz schlechte Laune und ein unschönes Bauchgrummeln. Also entschlossen wir, vor allem für die Nachbarn, die nicht in den Notunterkünften leben, etwas zu tun. Irgendwie, irgendwas. Einmal täglich kauften wir ein bisschen was zu essen; Baguette mit Sardinen, Café und Reis. Das überbrachte dann der bei uns wohnende Nachbar den Menschen im Sammelhof. Denn wir grämen uns vor dem unangenehmen und so gar nicht gerechtfertigten Glanz spendabler Großzügigkeit. Dennoch wird uns nun auf der Straße von fremden Menschen ein „Dankeschön“ hinterher gerufen oder Menschen bedanken sich überschwänglich vor unserem Haus wartend, wenn wir gerade nach Hause kommen. Naja.

Freitag, 4. September 2009

Der Regen des 1. September

Nachdem der Beginn der Regenzeit immer wieder durch neue Prognosen verscho-ben wurde, begann sie dann doch so etwa Anfang Juli – und mit ihr die ersehnte Ab-kühlung. Also regnete es durchschnittlich alle drei Tage, mal als halbstündiger Gewit-terguss, mal als grauer Nieseltag. Die Temperaturen sanken durchaus auf 25 Grad, so dass der Pullover manches Mal unabdingbar war. Diese Regenzeit dauerte etwa zwei Monate an; im September, so hieß es, würde es weniger oft regnen, dafür dann aber richtig doll.
Diese Prognose bestätigte sich nun just am 1. September auf besonders böse Wei-se. Morgens um fünf begann es zu regnen und dauerte lange zehn Stunden an. Aber eben kein leichter Nieselregen, sondern beinahe die gesamte Zeit kräftig prasselnd. In dieser Form zum ersten Mal in der burkinischen Wetterchronologie erlebt und deswegen mit fatalen Folgen. Ganz besonders für das Viertel, in dem auch ich woh-ne, denn Dapoya liegt in einer Art Kessel in Ouaga. Also sammelte sich hier erstens das Wasser der Stadt und zweitens schwappte das Wasser aus den Barrages über, so einer Art Staudamm mit meerähnlicher Atmosphäre, die sich direkt im Norden an Dapoya anschließen. Das Wasser stieg. Auf dem Weg vor unserem Haus ging das Wasser aufgrund eine kleinen Senke in der Wegesmitte bis zum Bauchnabel; ab und zu schwappte das Wasser über unsere Garagenschwelle. Auf den Pisten hinter un-serem Haus ging das Wasser bis zum Hals.
Das Wasser an sich ist schon schlimm genug. Es dringt in Häuser ein und hinterlässt schmutziges Chaos. Während des Regens verließen die Menschen ihre Häuser und sammelten sich teilweise erstmal in unserer Garage, weil sie hier das katastrophale Treiben regengeschützt beobachten konnten. Nun ist aber die Bauweise besonders alter Häuser nicht mehr sonderlich robust, so dass das viele Wasser den Mörtel po-rös werden lässt; die Mauern werden zu einer keksigen Masse, wie es ein Nachbar bildlich beschrieb. Also fielen hier und da immer wieder Häuser ein oder eine Wand kippte in den Pistenfluss. Wenn es in der Umgebung mal wieder laut krachte, konn-ten die Menschen nur erahnen, ob das gerade ihr eigenes Haus war. Trotz der ge-fährlichen Strömung und der Ungewissheit, was sich da in der braunen Wasserbrühe so alles sammelt, wateten sie zu ihren Häusern und brachten Elektrogeräte und Mo-torräder in Sicherheit – vor dem Wasser, aber auch vor Dieben.
Viele Menschen verloren ihre Häuser. Wenn sie es nicht mehr schafften, ihr Hab und Gut vorher irgendwie zu sichern und woanders unterzustellen, ist es meistens im Schlamm verschollen oder weggespült worden oder einfach nur kaputt. Manchmal konnten noch am nächsten Tag, denn der Wasserspiegel sank dann doch überra-schend schnell, Möbel herausgezogen, wichtige Dokumente zusammengesammelt werden. Andere hatten weniger Unglücksglück und verloren alles.
Überall in Dapoya präsentieren sich nun Trümmerhaufen mit dazwischen verteilten Habseligkeiten. Immer wieder fallen klaffende Lücken in der Häuserfront auf. Auf noch stehenden Mauern und zusammengefallenen Ruinen trocknen über weite Stre-cken hinweg Kleidungsstücke. Manche Wege sind bis heute nicht passierbar, weil so viel Zeug herumliegt und weil sich dort das Wasser immer noch zu kleinen Seen sammelt.
Aber die burkinischen Menschen gehen überraschend gelassen mit dieser Situation um. Mit gewohntem Realismus sitzen sie auf den Resten ihres Hauses, waschen Wäsche, suchen, was zu retten ist, um sich irgendwie neu einzurichten.