Freitag, 30. Oktober 2009

Palu, Palu

Was hier, denn freilich immer mit frankophonem „ü“, an Dieter Hallervordens epochalen Kaufmannsladen-Sketch erinnert, ist eigentlich ganz ernst. Es handelt sich nämlich um die irgendwie verniedlichende Kurzform von „paludisme“, Malaria also. Aber so ernst ist das ganze dann doch nicht.
Denn irgendwann bekommen alle mal Malaria. Besonders während der Regenzeit, wenn sich die bösen Moskitos nach Sonnenuntergang noch mal zahlreicher auf die Suche nach Blut machen. Der angereiste Mensch versucht die erstmal nur juckenden Mückenstiche allabendlich mit diversen Sprays und Cremes abzuwehren. Gegen die Krankheit selbst gibt es noch medikamentöse Vorbeugemaßnahmen, deren Nebenwirkungen – und auch Schutzmechanismus – aber allesamt fragwürdig sind. Und freilich umgibt das Bett immer der umständliche Moskitonetz-Mantel.
Der burkinische Mensch hält sich das nervige Gesumme durch punktuelles Armwedeln fern, was von vielmehr Übung im frühzeitigen Erkennen der Gefahr zeugt. Malaria wird dann auch nicht durch ärztliche Profession, sondern in stiller Selbstdiagnose erkannt. Als Behandlung gibt es gewöhnliche Schmerz- und Fiebersenk-Mittel; im Idealfall aus der Apotheke, schlechterdings von den zahlreichen Koffermenschen auf der Straße, die stapelweise Medikamente herumschleppen, mit eher nicht zertifizierter Beratung, dafür spottbillig.
Zumindest bei uns wird dann aber die Malaria-Diagnose durch Bluttest vorgezogen. (Ein kleines Anekdötchen und deswegen nur in Klammern: Die Wunde nach dem Blutabzapfen wird mit einem Pflaster abgedeckt, mit einem hautfarbenen Pflaster freilich – einem Pflaster, wie es im subsaharischen Afrika eben angemessen ist.) Die Symptome fallen auch allenthalben anders aus. Da ist alles dabei, von allgemeinem Unwohlsein über Kopf- und Gliederschmerzen oder Übelkeit und Durchfall bis hin zum seltenen Krankenhausaufenthalt. Zur Behandlung gibt es dann drei Tage Hammer-Tabletten, die alle Malaria-Reste im Körper vernichten sollen.
Die Malaria-Diagnose ist deswegen so schwierig, weil zunächst ganz andere Krankheitsbilder in Betracht gezogen werden. Tritt Malaria beispielsweise mit Durchfall auf, liegt die erste Ursachensuche meistens bei der Nahrung. Und das kann ja nun auch wiederum sehr vielseitig sein: Waren es verdorbene Speisen, verunreinigte Speisen oder einfach nur eine andere Bakterienflora? Ab und zu rumort es jedenfalls allen mal in der Magen-Darm-Gegend. Glück hat, bei wem es nach zwei Tagen vorübergeht. Es gibt aber auch ausdauernde Kulturen; da zieht sich der angestrengte Toilettengang über Wochen. Und das Labor kann in all den abgegebenen Pröbchen keine Ursache erkennen.
Und weil derlei Krankheiten hier so viel häufiger vorkommen, verlieren wir unseren über Jahre antrainierten Respekt vor dem eigentlich ganz intim behandelten Stuhl. In unserer WG haben wir ein Bewertungssystem für die Stuhl-Dichte eingeführt, auf dass der gerade befallene Mensch das aktuellste Update kurz und bündig mitteilen kann. Aber auch Ausführlichkeiten werden gerne mal berichtet und interessiert auf mögliche Ursachen diskutiert.

Mittwoch, 21. Oktober 2009

Von Glucken und Gockeln

Nach all der Wasser-Aufregung der letzten Wochen heute ein ganz trivialer Beitrag zu unserem Hühnerhof. Denn dieser scheint dem fernen Lese-Publikum noch am interessantesten. Wahrscheinlich weil dieser ach so afrikanische Alltag zu weit weg ist, um ihn nachvollziehen können, und weil die Aufzucht von Hühnern eben nicht so alltäglich ist, ein wenig spektakulär, aber wenigstens so viel Halbwissen vorhanden ist, um interessierte Nachfragen stellen zu können.
Beim letzten Hühner-Bericht waren es noch zwei: ein Hahn und ein Huhn. Allen Regeln des guten Spannungsaufbaus zum Trotze gebe ich hier und sofort die aktuelle Hühner-Zahl preis; Obacht nun: Sechzehn! Hoho. Ja, da ist so einiges passiert.
Zum einen war ich mal wieder im afrikanischen Hinterland und bekam im selben Dorf abermals ein Huhn geschenkt; diesmal ein wirkliches Huhn und keines, welches sich nach zwei Wochen krähenderweise als Hahn entpuppt. Während ich dieses Huhn geschenkt bekam (zur besseren Zuordnung nehme ich mal eine Huhn-Nummerierung vor, also „HuhnZwei“), und das in Ouaga gekaufte Huhn (analog also „HuhnEins“) bereits fleißig Eier legte, die wir zunächst noch in aufgeregter Freude über den Farm-Erfolg als Spiegeleier verspeisten, uns dann aber der Kritik der Nachbarn annahmen und die Eier nicht mehr einsammelten, begann also HuhnEins zu brüten. Nach drei Wochen wackelten fünf Flauschebälle durch den Garten. Von diesen fünfen sind mittlerweile aber nur noch drei geblieben. Ja, so ist das. Ist aber auch nicht soooho wild, sag ich mal ganz ökonomisch, denn seit einigen Tagen sind die Küken von HuhnZwei da. Sieben Küken. Ach, und sind die wieder putzig. Ganz flauschig und klein. Kein Hals, keine Kniegelenke. Das Kleinste muss nach vier Schritten immer anhalten, um durchzuatmen. Und wie auch zu Beginn bei HuhnEins scheint es HuhnZwei ebenfalls an der mütterlichen Umsicht zu fehlen. So scharrt es dann mal aufgeregt im Unkraut herum und kickt dabei eines ihrer Küken weg, weil die sich ja immer lästig in der Beingegend aufhalten. Das Küken aber rappelt sich purzelbaumschlagend schnell auf und wetzt sofort zum fußballgefährlichen Mutterfuß zurück. Vielleicht ist das auch nur die harte Küken-Schule, hier wird niemand verwöhnt.
Jetzt sind wir bei 13: sieben ganz kleine, drei große Küken, zwei Hühner und ein Hahn. Die Tierärztin, die wir auch schon mal engagierten, um dem weiteren Küken-Tod vorzubeugen, sprach von einem optimalen Hahn-Hühner-Verhältnis von eins zu zehn. Beim zweiten Besuch der Familie eines Nachbarn auf dem Lande bekam ich mal wieder ein Huhn geschenkt. Also sind wir schon bei eins zu drei; immer noch nicht gebührend, aber steigerungsfähig. Aaaber, aber: Im Zuge des Jahrhundertsregens verlor nämlich unser lieber Wachmann sein Haus und quartierte deswegen seine zwei Hähne bei uns ein. (Und das ist wirklich, wie ich mir stolz auf die eigene Schulter klopfend einreden möchte, ein Lob für unseren kleinen Hühnerhof.) Quantitatives Update also: drei Hähne und drei Hühner, so total ausgeglichen, so überhaupt nicht genügend für einen stolzen Hahn.
Unser Hahn hat aber die absolute Hühner-Hoheit und die beiden Gast-Hähne haben so gar nix zu sagen. Sie hängen merkwürdigerweise immer zusammen rum, schlafen auf einem Ast dicht nebeneinander, ruhen in der Mittagshitze aneinandergekuschelt im schattigen Sand. Und sie werden von allen verjagt. Selbst von den Hühnern. So konnte ich auch eine klare Essenshierarchie beobachten: Zunächst die von Andrea so ganz passend bezeichnete „Königsfamilie“, also unser Hahn, HuhnEins und deren Kinder, wobei alle anderen die spontanen Hackattacken des Hahnes fürchten. Wenn HuhnEins mit Kindern satt sind, kommt HuhnZwei, die aber die Gast-Hähne immer schon weggackert, wenn diese mal wieder einen schleichenden Annäherungsversuch starten. Genauso wird HuhnDrei verjagt. Wenn HuhnZwei dann auch gesättigt die Essensreste zurücklässt, dürfen die anderen drei. Die Essenhierarchie richtet sich also nach der Chronologie des Hofaufenthaltes. Und: Der Hahn speist generell mit allen Hühnern gern, wenn sie ihm nur genügend Freiraum lassen.
Also spielt sich unser Hahn als Hofältester und Hühner-Macho auf. Und das nervt. Der macht nämlich immer Krach, kräht blöde rum. Ja nun, könnte die wohlwollende Antwort beginnen, das haben Hähne so an sich, aber, entgegne ich berechtigt, doch nicht ab halb zwei Uhr morgens im strikt eingehaltenen Stunden-Takt. Und den Tag über natürlich auch ständig und überall. Ich möchte ihm wirklich mutwillige Böswilligkeit unterstellen. Gewöhnlich hält er sich zur frühmorgendlichen Kräh-Nerverei vor Annas Zimmer auf. Nun war Anna kürzlich verreist und als wüsste der Hahn, dass auf dieser Haushälfte niemand aufzuwecken wäre, stolzierte er nun vor meinem Zimmer auf und ab. Im Halbschlaf gefühlt alle fünf Sekunden wild gackernd. Zunächst vermutete ich eines der Hühner. Malte mir, ich hatte ja nun ausreichend Zeit, an Schlaf war nicht zu denken, die abenteuerlichsten Eventualitäten aus. Denn das Gackern distanzierte sich langsam, wurde aufgeregter und lauter bis es schließlich schlagartig aufhörte, aber nicht ohne vorher noch wild mit den Flügeln zu knattern. Ich dachte nun ängstlich an das plötzlich aufgekündigte Freundschaftsverhältnis zwischen Hühnern und Katze. Oder daran gar, dass eine Hühner-Mutter den Verlust eines Kükens schmerzlich beklagt. Als das blöde Gegacker eben nicht aufhören wollte, ging ich dem ganzen nach: Der Nerv-Gockel war’s. Wie immer. Und nix war. Er stolperte blöde über den Hof, mal stoppend und hässlich mit dem Kopf und dranhängenden Kopf- und Kinnlappen schlackernd. Einfach nur so. Weil er blöde ist.
Und weil Anna und Thomas morgens gerne mal mit einer äußerst überzeugten Schlachtempfehlung für den Hahn in den Tag starten und wir ja nun schon zum zweiten Mal Küken haben, steht der Plan jetzt fest: Der Hahn wird geschlachtet. Und dazu HuhnEins, denn ihre Küken sind mittlerweile flügge. Die Küken werden allesamt, soweit sie denn überleben, höhö, verschenkt. Die Gast-Hähne werden bald nach Hause geschickt. Und so bleiben noch HuhnZwei und HuhnDrei, ganz friedlich, die für frische Bio-Öko-Freiland-Eier sorgen.
Um schließlich noch eine der Fragen aufzuwerfen, die uns, die wir so ganz und gar nicht hühner-erfahren sind, immer alles umsorgt-belustigt ausprobieren, so beschäftigen: Was ist eigentlich ein Huhn? Ist das der Überbegriff des Federtieres? Wie etwa auch das Tier aus der Ferne in Ermangelung der genauen Geschlechtsbestimmung erstmal „Katze“ heißt und später vielleicht zum „Kater“ wird oder eben doch „Katze“ bleibt? Oder ist „Huhn“ schon die weibliche Bezeichnung des Federtieres? Und „Hahn“ dann die männliche? Oder beschreibt doch eher „Henne“ das weibliche Geschlecht? Wenn ja, was ist dann eine „Glucke“? Die brütende beziehungsweise aufziehende Henne, oder eben: das brütende beziehungsweise aufziehende Huhn? Und was wiederum ist ein „Gockel“, im Unterschied zu einem „Hahn“?

Donnerstag, 15. Oktober 2009

Psss!

Nein, ich habe mich nicht verschrieben, da fehlt kein t am Ende. Es geht nämlich auch gar nicht darum, Stille in einer unruhig-lauten Umgebung einzufordern. Das bur-kinische „Psss!“ wird vielmehr sehr laut herausgezischt, schon weil es ein ganz ande-res Ziel verfolgt: Es soll die Aufmerksamkeit eines Menschen erhaschen.
So wird in gastronomischen Einrichtungen aller Klassen laut herumge-psss-t, um die Bedienung heranzurufen. Und weil ich das so unglaublich unfreundlich finde, versu-che ich es immer wieder mal mit einem „Monsieur!“ und „Madame!“. Das wird aber regelmäßig überhört, weil ja so ungewohnt. Außerdem befindet sich das gezischte „Psss!“ auf einer ganz anderen Geräuschebene und kann sich so von allem Musik-lärm und Unterhaltungsgemurmel absetzen.
Nicht nur in der Gastronomie wird ge-psss-t, eigentlich überall. Ständig will jemand etwas von jemanden und versucht dessen Aufmerksamkeit anzurufen. Auch gerne mal über die vierspurige, vielbefahrene Straße hinweg. Und wenn die Kommunikati-onsdistanz die Hörmöglichkeit übertrifft, hilft gern jemand auf halber Strecke mit.
Sobald die gewünschte Person nun aufhorcht, das „Psss!“ endlich erhörte und sich fragend umschaut, aus welcher Richtung das Interesse kommen mag, geht es zur gestikalen Kommunikation über: Der rechte Arm des „Psss!“-Menschen wird ausge-streckt, mit dem Handrücken nach oben zeigend werden die Finger, bis auf den Daumen, immer wieder winkend heraus- und hereingestreckt, um so anzuzeigen, dass der andere Mensch jetzt mal rüberkommen soll.
Das auch gerne mal gemütlich in der Kneipe eingerichtet, das gesamte Prozedere an einen anderen Gast gerichtet durchführend. Und wenn der angerufene Mensch ob dieser unerhörten Unhöflichkeit nicht sofort springt, wird der burkinische Mensch nicht müde, diese inszenierte Herrschaftlichkeit immer und immer wieder vorzufüh-ren: „Psss!“ und Fingerwinken.

Dienstag, 6. Oktober 2009

Nach Regen kommt Sonnenschein

Zumindest meteorologisch stimmt diese Überschrift. Denn seit mittlerweile über zwei Wochen fiel kein Regen mehr. Entsprechend brutzeln die Temperaturen wie vor der Regenzeit, also um die 40 Grad. Die Hitze ist mal wieder unerbittlich, der Schweiß läuft unentwegt auch bei Nichttätigkeit, der Ventilator ist für eine angenehme Nachtruhe unabkömmlich. Und wir fragen uns, ob wir uns nach zwei Monaten Regenzeit und moderateren Temperaturen bereits so weit akklimatisiert haben, dass uns die neuerlichen Hitzerekorde dermaßen anstrengen.
Der ausfallende Regen und die an seine Stelle tretende Hitze lassen dann wenigstens alle potenziellen Keim-Pfützen, die sich immer so auf den Pisten sammelten, austrocknen und ermöglichen einen unbeschwerten Fußmarsch auch bei nächtlicher Schimmerbeleuchtung.
Die Bemühungen um die Regelung der Flut-Regen-Konsequenzen sind dann aber eher nicht so sonnenschein-schön. Gestern begann das neue Schuljahr, die Schulen werden wieder für den Unterricht benötigt. All die Notuntergekommenen wurden in der vergangenen Woche in große Zeltlager irgendwo in ganz Ouaga umgesiedelt. In hübsch parallel angeordneten Linien reihen sich die geräumigen Zelte in ödem Grau auf zuvor freistehenden Erdflächen. Abgegrenzt werden diese neuerlichen Notunterkünfte durch rot-weiße Zäune und Mauerreste. Der Eintritt wird von bewaffneten Uniform-Menschen überwacht. Auf dem Gelände verteilen sich wenige Plastikhaus-Toiletten. Und ein vereinzeltes UNICEF-Zelt in blitzblank-weiß präsentiert sich noch am Geländerand. Diese Kulisse erinnert in allem an all die wohlbekannten Kameraschwenke über irgendwie Not leidende und vorübergehend untergebrachte Menschenmassen, die in Nachrichtenjournalen über die nun geregelte Situation nach Katastrophen informieren.
Der burkinische Staat äußert sich wie gewohnt nicht. Vorvergangenen Freitag war ich bei einer Art Pressekonferenz. Geladen war unter anderem der Vize-Präsident der so genannten Ad hoc-Kommission, die einige Tage nach dem 1. September vom burkinischen Staat ins Leben gerufen wurde. Nun lässt der Name dieser Kommission schon auf nix großes hoffen, äußert sich die Unüberlegtheit doch bereits im Titel. Der Vize-Präsident brillierte dann auch durch perfekt inszenierte Viel-reden-und-nix-sagen-Taktik. Im einleitenden Referat schleuderte er den Zuhörenden zu viele Zahlen (und - versprecher) über die eingegangenen Spenden um die Ohren und mokierte sich darüber, dass es nun ja gar nicht leicht sei, Materialspenden in Zahlen umzurechnen. Was die Aufgabe dieser mal wieder ominösen Kommission nun aber ist, wurde nicht klar. Ob sie tatsächlich nur für die langweilige Auflistung der Spenden zuständig ist, oder ob vielleicht doch irgendwann verraten wird, wie diese Spenden verwaltet, also vergeben werden, ließ er unerwähnt.
Also werden die Menschen nun umgesiedelt und freuen sich überraschenderweise über das neue Domizil; insofern vielleicht doch ein wenig Sonnenschein. Wie lange sie aber in diesen gar nicht ferienzeltlager-atmosphärischen Geländen leben sollen, ist mal wieder nicht klar. Einige Menschen sollen sogar in ein fünfzehn Kilometer weit entferntes Dorf gebracht werden. Wie sie von dort ihr Leben, was ja weiterhin in Ouaga stattfindet, fortführen sollen, ist dem burkinischen Staat egal und so wehren sich die Zwangsumgesiedelten.
Bei uns in Dapoya sind die Pisten hinter unserem Haus vergleichsweise leer. Etwas gruselig anmutend flimmert in den Abendstunde hier und da ein Fernseher aus einem Ruinen-Haufen, der vor dem einzig noch stehenden Haus aufgestellt wurde. Meistens sammeln sich die noch verbliebenen Nachbarn darum. Die meisten Menschen aber sind bereits umgezogen oder leben jetzt eben in diesen Zeltlagern.
Wir haben letzte Woche unsere vielleicht letzte Privat-Spende getätigt. Ebenfalls betroffen von der Regenflut war nämlich das Müllabfuhr-Unternehmen ein paar Häu-ser weiter. Das Büro ist eingestürzt und die Transportkarren ziehenden Esel sind bis auf einem alle umgekommen. Früher kam einmal wöchentlich ein Esel-Karren zu uns und holte unseren Hausmüll ab. Aufgrund des Eselschwundes konzentriert sich das Unternehmen nun aber auf die Müllabfuhr von Großkunden wie Restaurants und Firmen. So kommen dann hin und wieder neu installierte Müll-Profiteure bei uns vorbei und fordern einen horrenden Abtransport-Preis. Um nun diese Situation, die ja nicht nur uns betrifft, zu ändern, gingen wir letzten Donnerstag mit dem Müll-Chef auf Esel-Kauf. Mal wieder ein ganz anderes Ereignis. Nun weiß ich nämlich, nach welchen Kriterien aus den herangerittenen Eseln der beste erwählt wird. Ein Esel-Chauffeur brachte dann das auserkorene Tier in den Morgenstunden von der abgelegenen Auswärtigkeit in die Großstadt.

Mittwoch, 23. September 2009

Die anderen Folgen des Regens

Nachdem nun die Soforthilfemaßnahmen gestartet sind, ist zumindest die Situation in den offiziellen Notunterkünften besser. Die privaten Sammelstellen, also mehrstöckige Gebäude, die von den Besitzern zur Verfügung gestellt wurden, werden von den großen Hilfsorganisationen weiterhin vernachlässigt. Denn die offiziellen Notunterkünfte sind Schulen und Kindergärten, meistens staatliche. Also wurde der von den untergekommenen Menschen zu Beginn irgendwie erwählte Stab von Verantwortlichen später oftmals durch einen Abgesandten der Bürgermeisterei abgelöst, um das Geschehen vor Ort zu regeln.
Vom Roten Kreuz wurden Listen ausgeteilt, auf denen sich alle Menschen, die ihren Wohnsitz verloren, eintragen sollen – nicht nur jene, die in den Notunterkünften leben, sondern auch jene, die es vorziehen, irgendwo anders zu schlafen. Und wer auf der Liste steht, bekommt von den gespendeten Lieferungen. So zumindest der zu Beginn groß verkündete Hilfsplan. In der Realität aber finden sich im Abstellraum eines Kindergartens beispielsweise zahlreiche Paletten von Mineralwasser sowie große Haufen Moskitonetze und Matten; in der Unterkunft selbst aber ist von derlei Dingen nichts zu sehen; ganz zu schweigen von der Möglichkeit, zumindest Teile der vielen Vorräte doch vielleicht an die vergessenen Privat-Häuser abzugeben. Die kostenlos verteilte Mittags-Portion für eine vierköpfige Familie, die nicht offiziell notuntergebracht ist, aber auf der ach so wichtigen Liste steht, beläuft sich dann auf eine Tasse Reis. Nicht nur die Nahrungsmittel, auch die Medikamente werden ausschließlich für die Menschen in den offiziellen Notunterkünften geradezu reserviert; in einer flüchtigen Ausrede wird auf die bestimmt noch ankommenden Menschen verwiesen. Vonseiten der weltweit agierenden Groß-Organisationen gibt es anscheinend keinerlei Notwendigkeit der Nachbearbeitung, ob die abgegebenen Dinge denn auch wirklich da ankommen, wofür sie ursprünglich angedacht waren. So wird auf der einen Seite fleißig gebunkert, während auf der anderen Seite spärlich gelebt wird wie bisher.
Wenn den vergessenen Menschen in den Privat-Häusern dann der privat gespendete Sack Reis sowie das viele Gemüse in den Hof gestellt wird, fragen sie zuallererst nach Café und Spaghetti – und das gar nicht mal schüchtern. So ist dann auch in einem Spendenaufruf für eine offizielle Notunterkunft bei der Auflistung der benötigten Dinge merkwürdigerweise immer wieder von Café zu lesen.
Interessant auch die Entwicklung der Mietpreise. Anfangs noch nur in den betroffenen Vierteln, mittlerweile in ganz Ouaga sind die Preise für eine Monatsmiete gerne mal ums vierfache nach oben geschnellt. Bleibt noch die Möglichkeit, das zerfallene Haus wieder aufzubauen. Nun ist aber auch der Preis für einen Sack Zement erschreckend gestiegen, was irgendwie mit einem angeblichen Problem bei der Produktion erklärt wird.
Andererseits ist vielen Menschen noch verboten, ihr Haus wieder zu errichten, so beispielsweise in den Pisten hinter unserem Haus. In den letzten zwei Pisten vor den Barrages war das Bauen und Wohnen sowieso schon immer verboten, eben aufgrund von Überschwemmungsgefahr. Nun will der burkinische Staat anscheinend all die gefährdeten Grundstücke aufkaufen, den Bewohnern das Geld geben, auf dass diese sich dann ein neues Grundstück südlich des Zentrums kaufen, wo eine große Fläche brach liegt.
Also gestaltet sich der Anblick zumindest bei uns im Viertel immer noch vergleichsweise unaufgeräumt. Nur der burkinische Sarkasmus oder aber das schlichte Nicht-besser-wissen zeigt sich, wenn etwa eine noch vereinzelt stehengebliebene Frontmauer von wackelig angelehnten Stöcken gehalten wird, nur weil die Frontseite so hübsch bemalt wurde, mit dem Logo und den Öffnungszeiten des Büros, was sich einmal in dem Haus mit den restlichen Mauern befand. Ansonsten wird der übliche Straßenverkauf auch vor der Ruine wieder aufgenommen. Der Moped-Mechaniker machte sofort am Folgetag des Regens wieder auf, vor der Garage, einer Strohhütte, parkten wie gewohnt die zu reparierenden Motos; einziger Unterschied nun, dass die Motos abends abgeholt werden müssen und nicht wie sonst im Hof geparkt werden können, denn der Hof steht nicht mehr. Hier und da wurden ausgewaschene Plastiktüten in der Sonne getrocknet. Die vielen kleinen Mini-Lebensmittelgeschäfte wurden auch letzte Woche noch ausgeräumt und auf Schäden kontrolliert. Parallel dazu, seit etwa zwei Wochen, riecht es an der einen Stelle, in der Nähe eines solchen kleinen Lädchens, dann eben auch auffallend stark nach Sauerkraut. Während wir uns an deutsche Küche erinnert fühlen, begründet der burkinische Nachbar den Duft mit vergammelten Produkten.
Abgesehen von obstrusen Ankündigungen zur Zwangsverstaatlichung kommt weiterhin nicht viel vom burkinischen Staat. Die zahlreichen Großspenden anderer Staaten oder großzügiger Privatpersonen werden rühmend verkündet. Das staatliche Wasserwerk betont in einer groß angelegten SMS-Aktion, das Wasser sei gegen alle anders lautenden Berichte genießbar und sauber. Zuletzt noch versandte der Staat zahlreiche SMS, in denen er auf die weiterhin bestehende Möglichkeit des Spendenabgebens hinwies. Was mit den vielen Spenden passiert, weiß so recht niemand. Auch ist unklar, was ab Anfang Oktober passieren soll, wenn der offizielle Schulunterricht wieder beginnt. Es geht das Gerücht, all die Menschen der Notunterkünfte sollen in einer Art Mehrzweckhalle untergebracht werden.
Ich frage mich dann noch, wieso weiterhin so viele Menschen in Notunterkünften wohnen oder es vorziehen, in ihren zerfallenen Ruinen oder schlichtweg auf der Straße zu schlafen. Schließlich wird doch immer das warmherzige Verwandt- und Bekanntschaftsgeflecht der Solidarität sowie die jederzeit bedingungslose Hilfsbereitschaft hochgehalten, gerne auch in scharfer Abgrenzung zu der anonym-isolierten Vergesellschaftung der westlichen Welt. Anscheinend aber funktioniert dieses hochgepriesene System als theoretische Schablone in einer Diskussion, kann sich aber nicht so recht in der Realität beweisen. Auf einmal werden alle irgendwie eigenbrötlerisch.

Freitag, 11. September 2009

Die Folgen des Regens

Letzte Woche berichtete ich noch recht oberflächlich von der Situation in Ouaga nach der Regen-Flut. Um den eher lockeren Stil des hiesigen Unterfangens fortzuführen und auch um nicht über die mitleiderrgende Strenge zu schlagen. Mittlerweile aber bin ich im überrumpelten Bilde über die Auswirkungen, ganz besonders hier in Dapoya.

In den drei Pisten hinter unserem Haus bis zu den Barrages steht kaum noch ein Haus, stattdessen viele Trümmerhaufen. Der Großteil der nun obdachlosen Menschen ist in provisorisch eingerichteten Notunterkünften untergekommen; das sind vor allem Schulen, vereinzelt auch Höfe von Privathäusern. In allen Auffanglagern aber fehlt es an allem: Trinkwasser (denn das Leitungswasser ist verunreinigt), Nahrungsmittel (selbst Töpfe zur Zubereitung), medizinische und hygienische Versorgung (allgemeine Epidemie-Gefahr), und überhaupt Platz. Der burkinische Staat lässt auf sich warten. Mittlerweile waren alle administrativen Verantwortlichen, vom Bezirksbürgermeister bis zum Staatspräsidenten, für eine kurze Stippvisite im Viertel, um zumindest alibihalber Betroffenheit zu bekunden. Den wohnungslosen Menschen wurden im Angesicht des Blitzlichtgewitters der Medien hoffnungsfrohe Versprechen verkündet. Diese Aussicht aber wird ganz sicher noch auf sich warten lassen.

Dabei ist gerade jetzt punktuelle Soforthilfe ganz wichtig. Und tatsächlich setzte sich das ach so große Hilfsaufgebot aller namhafter internationaler Organisationen mit hoch humanitärem Anspruch in Gang, ganz langsam, nach einer Woche. Die kostenfreie und ausreichende Nahrungsmittelversorgung in den Notunterkünften soll garantiert sein, es sollen Impfstoffe und Medikamente zur Verfügung gestellt werden, ebenso Matten und Moskitonetze.

Aufgrund der schier überforderten Situation in den Notunterkünften aber ziehen dann viele Menschen ihren eigenen Trümmerhaufen als Schlafplatz vor, auch weil sie hier auf den noch verbliebenen Besitz aufpassen können. Abends kommen sie von ihren Tagesgeschäften, etwa der verzweifelten Suche nach einer neuen Bleibe, zu einem spontan installierten Sammelplatz, einem halb verfallenen Hof, zusammen, um hier den Fernseher einzu- und vor ihm vom Erlebten abzuschalten.

Da wir in unserer Wohngemeinschaft nun mitten im betroffenen Viertel leben, kriegen wir das alles unmittelbar mit. Wenn wir das Tor zu unserer unbeschadeten Insel des Luxus’ schließen, wirkt beinahe alles wie immer. Nur dass wir jetzt zwei neue Mitbewohner haben. Zwei befreundete Nachbarn verloren ihre Häuser und wohnen nun bei uns. Der Salon ist ja groß genug. Am Tag des Regens selber übernachteten noch einige Menschen in unserem Hof, machten sich aber am Folgemorgen auf die unschöne Suche ihres wahrscheinlich verfallenen Hauses. Wenn wir unseren Hof verlassen, meldet sich die böse Realität zurück. Ich bekomme immer ganz schlechte Laune und ein unschönes Bauchgrummeln. Also entschlossen wir, vor allem für die Nachbarn, die nicht in den Notunterkünften leben, etwas zu tun. Irgendwie, irgendwas. Einmal täglich kauften wir ein bisschen was zu essen; Baguette mit Sardinen, Café und Reis. Das überbrachte dann der bei uns wohnende Nachbar den Menschen im Sammelhof. Denn wir grämen uns vor dem unangenehmen und so gar nicht gerechtfertigten Glanz spendabler Großzügigkeit. Dennoch wird uns nun auf der Straße von fremden Menschen ein „Dankeschön“ hinterher gerufen oder Menschen bedanken sich überschwänglich vor unserem Haus wartend, wenn wir gerade nach Hause kommen. Naja.

Freitag, 4. September 2009

Der Regen des 1. September

Nachdem der Beginn der Regenzeit immer wieder durch neue Prognosen verscho-ben wurde, begann sie dann doch so etwa Anfang Juli – und mit ihr die ersehnte Ab-kühlung. Also regnete es durchschnittlich alle drei Tage, mal als halbstündiger Gewit-terguss, mal als grauer Nieseltag. Die Temperaturen sanken durchaus auf 25 Grad, so dass der Pullover manches Mal unabdingbar war. Diese Regenzeit dauerte etwa zwei Monate an; im September, so hieß es, würde es weniger oft regnen, dafür dann aber richtig doll.
Diese Prognose bestätigte sich nun just am 1. September auf besonders böse Wei-se. Morgens um fünf begann es zu regnen und dauerte lange zehn Stunden an. Aber eben kein leichter Nieselregen, sondern beinahe die gesamte Zeit kräftig prasselnd. In dieser Form zum ersten Mal in der burkinischen Wetterchronologie erlebt und deswegen mit fatalen Folgen. Ganz besonders für das Viertel, in dem auch ich woh-ne, denn Dapoya liegt in einer Art Kessel in Ouaga. Also sammelte sich hier erstens das Wasser der Stadt und zweitens schwappte das Wasser aus den Barrages über, so einer Art Staudamm mit meerähnlicher Atmosphäre, die sich direkt im Norden an Dapoya anschließen. Das Wasser stieg. Auf dem Weg vor unserem Haus ging das Wasser aufgrund eine kleinen Senke in der Wegesmitte bis zum Bauchnabel; ab und zu schwappte das Wasser über unsere Garagenschwelle. Auf den Pisten hinter un-serem Haus ging das Wasser bis zum Hals.
Das Wasser an sich ist schon schlimm genug. Es dringt in Häuser ein und hinterlässt schmutziges Chaos. Während des Regens verließen die Menschen ihre Häuser und sammelten sich teilweise erstmal in unserer Garage, weil sie hier das katastrophale Treiben regengeschützt beobachten konnten. Nun ist aber die Bauweise besonders alter Häuser nicht mehr sonderlich robust, so dass das viele Wasser den Mörtel po-rös werden lässt; die Mauern werden zu einer keksigen Masse, wie es ein Nachbar bildlich beschrieb. Also fielen hier und da immer wieder Häuser ein oder eine Wand kippte in den Pistenfluss. Wenn es in der Umgebung mal wieder laut krachte, konn-ten die Menschen nur erahnen, ob das gerade ihr eigenes Haus war. Trotz der ge-fährlichen Strömung und der Ungewissheit, was sich da in der braunen Wasserbrühe so alles sammelt, wateten sie zu ihren Häusern und brachten Elektrogeräte und Mo-torräder in Sicherheit – vor dem Wasser, aber auch vor Dieben.
Viele Menschen verloren ihre Häuser. Wenn sie es nicht mehr schafften, ihr Hab und Gut vorher irgendwie zu sichern und woanders unterzustellen, ist es meistens im Schlamm verschollen oder weggespült worden oder einfach nur kaputt. Manchmal konnten noch am nächsten Tag, denn der Wasserspiegel sank dann doch überra-schend schnell, Möbel herausgezogen, wichtige Dokumente zusammengesammelt werden. Andere hatten weniger Unglücksglück und verloren alles.
Überall in Dapoya präsentieren sich nun Trümmerhaufen mit dazwischen verteilten Habseligkeiten. Immer wieder fallen klaffende Lücken in der Häuserfront auf. Auf noch stehenden Mauern und zusammengefallenen Ruinen trocknen über weite Stre-cken hinweg Kleidungsstücke. Manche Wege sind bis heute nicht passierbar, weil so viel Zeug herumliegt und weil sich dort das Wasser immer noch zu kleinen Seen sammelt.
Aber die burkinischen Menschen gehen überraschend gelassen mit dieser Situation um. Mit gewohntem Realismus sitzen sie auf den Resten ihres Hauses, waschen Wäsche, suchen, was zu retten ist, um sich irgendwie neu einzurichten.

Freitag, 28. August 2009

Biper – Ein großer Rätselspaß

Das mobile Telefon ist in Burkina Faso sehr wichtig. Da es nur selten Festnetzanschlüsse gibt, weil es eben nur selten eine fixe Stromversorgung gibt, ist das Handy zur Kommunikation auf Distanz unabkömmlich. Durchschnittlich hat vielleicht jeder burkinischer Mensch ein Handy; durchschnittlich, das heißt eben, manche Menschen haben mehrere, andere dafür gar keins.

Um das Gerät zweckmäßig benutzen zu können, muss zuvor der Anbieter erwählt werden. Im Vergleich zum überfrachteten Handy-Markt in Deutschland gibt es hier erstens nur PrePaid und zweitens eben genau drei Möglichkeiten, die sich sowohl in ihren Angeboten als auch namentlich nicht sonderlich unterscheiden: Telmob, Telecel, Zain beziehungsweise Celtel. Der einmalige SIM-Karten-Kauf beläuft sich auf etwa 1,50 Euro. Dann geht es los. Das mitgelieferte Startkapital kann verbrasst werden. Wenn es aufgebraucht ist, wird einer der zahlreichen Menschen, die überall in der Stadt Handy-Guthaben-Karten verkaufen, konsultiert. Oder aber, das allerdings nur mit Zain/Celtel, das Guthaben in einer SapSap-Station aufladen: Statt einer freizurubbelnden Zahlenreihe wird hier durch das Ansagen der eigenen Telefonnummer das letzte Kleingeld direkt auf das Handy geladen. Das geht schneller und erlaubt eben auch am Monatsende noch das Kommunizieren.

Das mobile Gerätekommunizieren ist dann auch derlei institutionalisiert, dass bei spontanen Straßenbekanntschaften nach dem Namen sofort die Handynummer erfragt wird. Anfangs noch konnte ich mich (eine zeitlang sogar wahrheitsgemäß) mit dem Fehlen einer burkinischen SIM-Karte herausreden; mittlerweile kann ich so verfrühte Kontaktversuche kopfschüttelnd abwehren.

Die Kommunikation per SMS ist dann eben auch nicht sehr ergiebig. Selbst wenn zwei Menschen nachbarschaftlich nur wenige hundert Meter auseinander wohnen, wird regelmäßig, also mindestens zweimal täglich, der andere Gemütszustand erfragt und der eigene berichtet. Das reicht aber eben nicht über die gewohnte Smalltalk-Irrelevanz hinaus, ist dann auch schon mal erschreckend eintönig in der Abfolge.

Telefoniert wird ansonsten eher selten, wenn dann auch nur sehr kurz.

Dafür gibt es eine andere Anruf-Funktion, die zu erlernen ich immer noch versuche. Nun gibt es ja die ganz sinnvolle Absprache im Vorfeld eines Besuches, etwa um die kaputte Klingel zu umgehen: Wenn ich vor der Tür stehe, klingel ich dich kurz an, du gehst nicht ran, machst nur auf. Oder auch zeitlich hochoptimierte Verabredungskünste: Wenn ich dich anklingel, gehen wir beide los und in zehn Minuten treffen wir uns am verabredeten Treffpunkt. Das ist also alles ganz verständlich und spart unnötige Kosten. So etwas gibt es hier auch: Das Zauberwort heißt „biper“ und meint das kurze Anklingeln. Leider fehlt es aber immer an vorherigen Absprachen, sodass aus dem kurzen Anklingeln so gar nicht hervorgeht, was das momentane Bipen gerade bedeuten könnte. Wenn ich dem Chef per SMS mitteile, dass ich ihm am darauf folgenden Tag ein Heft mitbringen werde, dann bipt er mich kurz nach Versenden der Nachricht an. Ich interpretierte es mal als „Okay, geht klar.“ – wobei ich doch gar nicht nach seiner Meinung fragte und die irgendwie auch gar nicht notwendig war. Ein Bipen kann aber auch ein Gruß aus der Ferne sein oder gar die Aufforderung, sofort zurückzurufen. Aber genau das geht nun aus dem Bipen selbst nicht hervor. Die burkinischen Menschen nicken das hier und da kurz vor sich hin klingelnde Handy akzeptierend ab und verstauen es wieder; als wüssten sie nun ganz genau, welche Nachricht sich dahinter verbergen würden. Tatsächlich aber erlebte ich schon Biper-Missverständnisse zwischen burkinischen Menschen – das aber nur in besserwissenden Klammern.

Schwierig auch, dass ich mein portables Telefon in burkinischer Unmanier nicht konstant am Körper trage, was mehrmals schon mit dem strafenden Zeigefinger quittiert wurde, denn mit der Anschaffung eines Handys wird gleichzeitig die immerwährende Erreichbarkeit verkündet. Und leider kann ich die Klingel-Dauer der versäumten Anrufe bei der HandyOption „Anrufe in Abwesenheit“ nicht nachprüfen. So weiß ich nicht, ob der Anruf nun bipende fünf Sekunden dauerte oder ob wirkliches Gesprächsinteresse vorlag. Zumindest für mich immer ein großer Rätselspaß.

Freitag, 21. August 2009

Heute: Tô

Im überblickenden Beitrag zu den bisher entdeckten Kulinaritäten berichtete ich unter anderem von Tô, diesem meist recht geschmacksarmen Gericht aus Mais oder Hirse. Während meiner zwei Aufenthalte auf dem Lande lernte ich stückchenweise die einzelnen Etappen der Tô-Zubereitung bis zu seiner Verspeisung kennen. On y go.
Zunächst einmal befinden wir uns in der Erde, wo wir dem zarten Wurzelchen beim Durchbrechen der steinern harten Oberfläche zujubeln. Oben angekommen dann, erblickt es das belebende Licht der Sonne und kann seine Zweigchen entfalten. Ein Hirsepflänzchen. Hurra. In der Vielzahl aber, das muss richtigerweise hinzugefügt werden, wird Tô weder aus Mais noch aus Hirse hergestellt, sondern – oha! – aus Sorghum. Diese Pflanze gibt es wiederum in rot und weiß, ähnelt dann aber doch in allen weiteren Merkmalen sehr stark der Hirse.
Diese Pflanze entsteigt also der Erde. Hier befindet sie sich in schön angepflanzten Linien neben Artgenossen auf großen Feldern, wo sie liebenswürdigerweise von getrockneten Steinbrocken und Unkraut befreit wird. Diese Arbeit wird von Menschen verrichtet, ganz einfach mit Hacke und immer in gebückter Haltung.
Irgendwann ist das zierliche Pflänzchen dann zu einer gestandenen Pflanze herangewachsen, was sich an den kleinen runden Getreidebömmelchen zeigt. Dann wird sie herausgerupft und mehrere Halme landen zusammen in einem hüfthohen Mörser. Und hier beginnt dann auch die plötzlich eintretende Arbeitsteilung nach Geschlecht. Denn die Tô-Zubereitung ist allein den Frauen vorbehalten, oder vielmehr: zugewiesen. Alle Männer preisen zwar immer im Brustton der Selbstüberschätzung ihre Tô-Kenntnisse an, selbst zubereiten würden sie es aber nie. Andernfalls würden sie nämlich als verrückt erklärt. So stehen dann zwei oder drei Frauen mit ordentlich großen Holzknüppeln – und Oberarmmuskeln, das nur nebenbei – um den Mörser und teilen die Frucht vom Gestrüpp; immer im eingespielten Rhythmus nacheinander den eigenen Holzklotz fallen lassend.
Der Ertrag wird aus einer Schüssel etwa auf Bauchnabelhöhe der Gravitation preisgegeben. Mit dem Wind wird alle Spreu herausgeweht und die ersehnten Körner fallen in die am Boden bereitgestellte große Schüssel.
Nun werden die Körner zermahlen. Wahlweise in der laut ratternden Mühle oder eben kostenfrei, dafür länger andauernd und körperanstrengender auf den in jedem Dorf befindlichen Mahlplätzen. Hüfthoch konzipierte, große runde Steinkonstruktionen mit am äußeren Rand einzeln installierten, glatten Steinflächen. Dazwischen liegen lose etwa faustgroße Steine mit einer ebenso glatten Unterseite. Die Körner werden zwischen den beiden flachen Steinflächen zermahlen. Es entsteht Hirsemehl.
Dieses Mehl wird in der Abendstund in eine bereits kochende Essig-Wasser-Emulsion gegeben. Unter ständigem Rühren mit einem großen Kochlöffel in einem großen Kochtopf über einer heißen Feuerstelle entsteht eine breiige Masse, die in die bereits umstehend bereitgestellten Gefäße gefüllt wird.
Nach etwa einer halben Stunde ist der Brei getrocknet und wird serviert. Maximal drei zusammensitzenden Menschen wird ein Topf in die Mitte platziert, dazu eine kleinere Schüssel mit Sauce. Diese variiert je nach Jahreszeit, nach Ernterfolg, nach Hof, nach Zubereitungsart. Außerdem wird eine dritte Schüssel mit Wasser dazugestellt. Alle waschen sich die Hände im Wassertopf und beginnen nun zu essen. Die rechte und zwar nur die rechte Hand bröckelt sich ein mittlerweile festgewordenes Tô-Stück ab, zerdrückt es mit den Fingern in der Handinnenfläche zu einem transportfähigen Klumpen und tunkt diesen dann in die Sauce. Das ganze wird schließlich zum Mund geführt, der Tô-Saucen-Klumpen dort hinterlegt und die Finger gewissenhaft abgeleckt, um danach wieder engagiert in Tô- und Sauce-Topf zu greifen. Reste, die beim überladenen Transportweg auf den sowieso nicht so weit entfernten Boden fallen, werden nach dem Verzehr zusammen- und aus Haus oder Hof gefegt. Und wer satt ist, wäscht sich die Hände in der noch immer bereitstehenden Wasserschüssel.

Freitag, 14. August 2009

Und täglich grüßt die burkinische Höflichkeit

Dass hierzulande zum obligatorischen „GutenTag“ beziehungsweise „Guten Abend“ immer auch ein „Wie geht’s?“ über die Piste gerufen wird, habe ich schon berichtet. Wenn nun aber die Unterhaltung etwas körpernäher oder zwischen zwei sich kennenden Menschen fortgeführt wird, gestaltet sich die Begrüßung etwas ausführlicher, so möchte ich es mal nennen.

Der erste Schritt jeder Begrüßung ist immer der Handschlag, aber ein ganz lascher, überhaupt nicht feste. Bei jüngeren Menschen endet der Handschlag im gegenseitigen Schnippen der Mittelfinger durch den eigenen Daumen. (Äääm, verstanden?) Das funktioniert aber nur mit ordentlich Druck dabei, weswegen das „claqué“ bei mir aus Angst vor Verletzungen oftmals lautlos verpufft. Pardon, hihi. Ist die rechte Hand gerade nicht schüttelfrei, wird ersatzweise das hingehaltene Handgelenk umgriffen. Bei deutlich älteren Menschen oder Respektpersonen wird freilich niemals geschnippt. Stattdessen führt der respektzollende Part die linke Hand zum Ellenbogen der rechten schüttelnden Hand. Und dabei gerne mal knicksen oder den Kopf huldigend neigend.

Parade-Beispielhaft schreibe ich den gesprochenen Teil einer solchen Begrüßungsunterredung zwischen Anna und ihrem Brouchetten-Grillmeister nieder:

„Aaaaanna! Guten Abend, wie geht’s?“

„Guten Abend. Ja, es geht gut. Und selbst?“

„Ja. Läuft. Und die Gesundheit?“

„Kein Problem.“

„Und die Familie?“

„Ja, es geht ihnen gut.“

„Und die Arbeit?“

„Sehr gut.“

Kurze Pause. Jetzt nachdrücklicher.

„Und Anna. Wie geht’s?!“

Das sind die drei großen Fragenblöcke: Gesundheit, Familie, Arbeit. Die können sprachlich variieren. Und je nachdem wie der andere Mensch über das eigene Leben informiert ist, können die Fragen etwas präziser formuliert werden.

Das erscheint jetzt schon etwas umfangreich. Im Vergleich zum dörflichen Begrüßungsmarathon ist aber die städtische Begrüßungsfloskelei eine Unverschämtheit sondergleichen. Auf dem Dorf geht das nämlich so:

Die zwei Menschen ergreifen die rechte Hand des anderen und verharren erstmal genauso bis das Updaten abgeschlossen ist. Zunächst fragt nur der eine Mensch, der andere antwortet. Und jedes Mal, wenn ein neues „ja, gut“ erwidert wird, wird der Händedruck wieder etwas stärker. Oftmals wird der Fragekatalog aber nicht sofort nach der ersten Begrüßung abgehandelt, sondern auch gerne mal in einer kurzen Konservationspause nach fünf Minuten eingeschoben. Dann wird weitergeredet und nach weiterer Plauderei fragt der vorher antwortende Mensch aus, und wieder wird die Hand ergriffen, ab und zu etwas fester zugedrückt.

Nun wird bei dieser Begrüßungshöflichkeit keineswegs die Wahrheit berichtet. Ähnlich dem deutschen Smalltalk, der ja auch nach ganz strengen Regeln funktioniert, wird hier niemand ausführlich berichten, wo es gerade piekt und drückt. Eine Wahrhaftigkeit kann hier aber doch versteckt kommuniziert werden: Wenn nämlich jemand dreimal hintereinander mit „kein Problem“ antwortet, hat dieser Mensch ganz sicherlich ein großes Problem, ohja. Der ganze Fragekatalog dient also eigentlich nur der eben so schön eingerichteten Höflichkeitstradition. So wird eben auch beim Straßenstand nicht sofort die Bestellung herausgepoltert, sondern wenigstens ein artiges „Es geht Ihnen gut?“ dazwischengeschoben. Und kurioserweise, so konnte ich heimlich kichernd beobachten, äußert sich die zumindest inhaltliche Oberflächlichkeit dieses Abfragens dann auch in der Gestik: Der eine Mensch schaut dann schon mal desinteressiert in den Himmel oder popelt sich wahlweise im Ohr.

Freitag, 17. Juli 2009

Wie esse ich eine Mango?

Es gab da mal vor etlichen Jahren den aberwitzigen Trend viel zu langer Massen-mehls mit viel zu persönlichen Fragen. Eine Frage behandelte das Essverhalten ei-nes oder einer Hanuta; diese kleine Waffeltäfelchen mit dazwischen gequetschter Schokocreme. Die Beschreibungen dessen wurden in ihrer Ausführlich- aber auch Absonderlichkeit immer wieder gern übertroffen. In Erinnerung an diese Frage, aber auch im Bewusstsein der Relevanz dieser Frage beantworte ich heute die burkini-sche Variante, nämlich wie sich so eine Mango essen lässt.
Zuerst einmal muss die Mango erworben werden. Idealerweise bei der Obstfrau des Vertrauens, die in ihrer blauen Kiste hübsch drapierte Früchte anpreist. Denn für den regelmäßigen und ausschließlichen Konsum bei ihr tütet sie in sprachloser Großzü-gigkeit immer auch ein „Geschenk“ ein, also eine Mango oder eine Banane für um-sonst. Das ist das burkinische Pendant zur nervigen Fragen an der Supermarkt-Kasse: „Haben Sie schon eine Kundenkarte?“ Alternativ eben Fremdeinkaufen bei den vielen Kopfschüsseln und Wackeltischen, wo die Mangos immer in kleinen Py-ramiden-Einheiten aufgetürmt werden.
Ganz wichtig zur Rechtfertigung vorweg: Die hiesigen Mangos gibt es in den ver-schiedensten Größen, Farben und Geschmäckern, aber immer lecker. Ganz viel le-ckerer als die unreif importierten in Deutschland. Und deswegen auch immer ordent-lich saftig. Für den Genuss ganz delikat, für den Verzehr allerdings sehr anstren-gend. (Und das ist dann auch der Grund, warum dieser Eintrag als klar burkinisches Erlebnis bewertet werden darf und hier seinen Platz findet.) Nun, ich möchte drei Va-riationen vorstellen:
1: Links und rechts am flachen Kern vorbei schneiden, so dass zwei Mangohälften und der mittlere Kernteil entstehen. Das Mangofleisch der zwei Hälften mit einem Messer in kleine Würfel anschneiden. Die perforierten Mango-Quader durch das Um-stülpen der Mangohälfte von der Schale abnagen.
2: Nach derselben Zubereitung wie oben die beiden Mangohälften mit einem Löffel mundgerecht ausschälen.
Bei beiden Varianten bleibt der Kern und um ihn herum noch leckeres Mangofleisch. Da hilft es dann nix: Der Kern muss unter viel Körpereinsatz geradezu abgelutscht werden. Die kleinen Kern-Fädchen sammeln sich gern zwischen den Zähnen und bleiben da eine Weile. Dauernd pult sich jemand im Mundraum herum.
3: Die Mango schälen und in kleinen Stückchen direkt abschneiden und essfertig in den Mund schieben. Und weil das die – ich sag das jetzt mal so – körperbetonteste Variante ist, der Mangosaft sich den Weg über die Unterarme bis zu den Ellenbo-genbeugen bahnt, soll es angeblich auch Menschen geben, die sich zum Mangoes-sen in die Badewanne zurückziehen. Nach getaner Essarbeit können die Mangoreste unkompliziert abgebraust werden. Das Küchenmesser im Badezimmer verwundert dann nicht mehr.
Die burkinischen Menschen haben da in jahrelanger Übung, so beneide ich, irgend-wie noch eine ganz andere Manier entwickelt: Einfach essen wie es kommt. Und das wirkt bei weitem nicht so angestrengt wie in unserer Nassara-WG.

Freitag, 10. Juli 2009

Aus dem Leben einer burkinischen Plastiktüte

Plastiktüten sind hier essentiell. Ohne sie geht nix. Es gibt sie in den Farben schwarz, weiß und blau und in den Größen klein, mittel und groß. Immer neutral, ohne Aufschrift.

Im Lebensmittelgeschäft werden die Produkte ihrer Größe und Zerbrechlichkeit entsprechend verpackt: Der Joghurt kommt in ein kleines, schwarzes Tütchen; das Toilettenpapier in eine große, blaue Tüte. Die Obstfrau tütet die Früchte in einen stabilen, schwarzen Plastiksack. Wer nicht direkt bei Tanti essen will, bekommt die Essensportion in eine mittelgroße, schwarze Tüte verpackt. Einmal schütteln, gut durchmischt und essfertig für den heimischen Teller. Zucker und Mehl werden in Plastikbeuteln verpackt nach Hause getragen.

Ganz kleine, transparente Tütchen werden mit den verschiedenen Getränken befüllt. Einfach nur Wasser oder Bissap und Hirse-Saft oder auch Joghurt und das joghurtähnliche Degûe. Zur Konsumation wird eine Ecke abgebissen und der Inhalt in den Mund gedrückt. So hängt dann auch das Plastiktütchen im Mundwinkel, wenn die Hände gerade mit anderen Dingen beschäftig sind. Und wenn die Tüte nicht mehr gebraucht wird, fällt sie eben runter.

Entsprechend sieht das Stadtbild aus. Die Pisten sind übersäht mit zumeist schwarzen Plastikflecken, dazwischen die ein-meter-breite Fahrbahn für die Motos. Bei Sturm fliegen die Tüten friedlich durch die Stadt, um danach verfangen im Geäst eines Baumes zu rascheln. Die städtischen Mülleimer sind rar und meistens leer.

Donnerstag, 9. Juli 2009

Unsere kleine Farm

In unserem Garten ist immer so einiges los.
Tagsüber, wenn die Sonne scheint, tummeln sich Vögel und Echsen. Die Vögel sind ganz klitzeklein, etwa von der Größe einer deutschen Blaumeise, aber ganz viel far-benfroher. Meistens einfarbig, dafür aber total intensiv: tief blau und leuchtend rot. Und die fliegen dann hier rum, haschen sich, zwitschern im Baum. Daneben gibt es auch Tauben. Die sind aber nicht so hässlich groß und fett wie die deutschen. Nee, die sind kleiner und schlanker, haben überhaupt einen Hals. Auch sind sie nicht dre-ckig grau, sondern elegant bordeaux-rot.
Die Echsen heißen zumindest lautschriftlich „Margujah“. Die Männchen haben ge-fährlich aussehende Köpfe und Schwanzspitzen in rot-orange und messen bestimmt dreißig Zentimeter. Die Weibchen sind ein bisschen kleiner, eher langweilig erdfar-ben, manchmal mit schicken roten Streifen an der Bauchseite. Diese Tierchen wet-zen durch den Garten und hangeln, der Gravitation trotzend, überall entlang. Kopf-über sitzen sie dann an der Häuserwand und machen dabei ihre achso drolligen Be-wegungen: kleine Liegestütze nämlich, oder aber sie headbangen zur wahrscheinlich bösen Rockmusik im Kopf. Vor ein paar Wochen war große Paarungszeit, die Männ-chen saßen sich mit im 45-Grad-Winkel nach oben gestreckten Schwanz gegenüber und gingen manchmal aufeinander los. Oder aber sie liefen den sich versteckenden Weibchen hinterher, die dann immer einen komischen Buckelrücken machten.
Wenn es dunkel wird kommen mit der Nachtschicht die Geckos. Mit ihren großen Glubschaugen und ihren Saugnapffüßchen tummeln sie sich und schnappen nach Insekten. Während die Margujahs das Menschendomizil respektieren, huschen die Geckos schon mal ins Haus. Da passiert es dann, dass in der Zwei-Sekunden-Pause zwischen Lichtschalter-an und Licht-an ein ängstlich-verwirrter Gekko über den Fuß flieht. Und überall hinterlassen sie ihre kleinen Kackaköttel. Darum vermute ich, dass auch in meinem Kleiderschrank einer wohnt.
Und dann laufen auch immer Hunde und Katzen in der Stadt herum. Aber anders als in Deutschland. Die Hunde haben nur ganz selten einen festen Wohnsitz. Was daran kenntlich wird, dass sie dick sind und ein besitzanzeigendes Halsband tragen. Die mageren und irgendwie immer verwundeten Straßenhunde tummeln sich nach Nachteinbruch zu kleinen Rudeln, lümmeln gefährlich auf den Pisten rum und wetzen herum. Aber ganz harmlos. Von den Menschen werden sie ignoriert. Ganz witzig: Die Hunde sehen irgendwie alle gleich aus. Durchschnittlich groß, mittelbraun, keinerlei Zuchtbemühung eben. Eine Zeitlang kehrten spät abends immer mehrere Katzen bei uns ein. Eine junge und sehr schöne Katze haben wir mit ein wenig Milch angefüttert, so dass sie regelmäßig zu uns kam und auf dem Gartenweg herumlümmelte, aber seit dem Huhn kommt sie immer seltener. Früher noch marschierten die beiden durchaus in friedlicher Koexistenz im Garten auf und ab.
Apropos Huhn, immer und immer wieder, weil es bei dem breiten Lesepublikum doch auf reichlich Interesse stößt. Große Sensation: Es ist ein Hahn! Wer hätte das ge-dacht?! Nach einer Woche gab das Huhn abgebrochene Kräh-Laute von sich – und weckte die überraschten mitwohnenden Menschen. Bei genauerer Betrachtung fiel dann auch der etwas zu große rote Kamm auf dem Kopf auf; ist eben ein Hahnen-kamm. Die jeweils fünften Kampfkrallen an den Versen sind schon als kleine Pömpel erkennbar. Zwischenzeitlich hatten wir plötzlich zwei Hähne. Eines Morgens nämlich kam ein schon stolz ausgewachsener Nachbarhahn über die Mauer geflogen. Ich interpretiere das als kurzfristige Nachhilfe zum Leben eines angesehenen Hahnes. Die beiden kämpften manchmal ein bisschen miteinander, der große Hahn unterrich-tete den Sprössling in Respekt zollendem Scharren und immer wieder ein lautes kla-res Krähen. Und nach zwei Tagen war der große Hahn wieder verschwunden. Wir lernten daraus und stutzten unserem Hahn die Flugfedern. Und letzten Samstag kauften wir unserem Hahn, der nun die Pubertät mit all den unangenehmen Dingen wie Stimmbruch überstanden hat, ein schönes Huhn. Noch am gleichen Tag wusste er, was zu tun war. Harhar. Am nächsten Tag schon, so meine ich beobachten zu können, waren der Hahnenkamm und die Kinnlappen noch ein Stückchen gewach-sen. Die schlackern jetzt herum, wenn er mit seinem Köpfchen nickt. Nun stolzieren die beiden in trauter Zweisamkeit elegant über den Hof, recken hier und da balleri-nengleich das Beinchen und lassen ihre Köpfchen beim nächtlichen Schlaf neben-einander auf dem Ast lustig runterbaumeln. Dem Huhn werden wir ein kleines gemüt-liches Eierlege-Heim einrichten. Und dann geht es los, mit unserer kleinen Hühner-farm.

Dienstag, 23. Juni 2009

Hommage an den Schulterblick

Vielleicht könnt ihr, die ihr eine Erlaubnis zum Führen eines Fahrzeuges habt, euch noch an die leidigen Ermahnungen des ambitionierten Fahrschullehrkörpers erinnern: Schulterblick! Bei jeder Kurve, bei jedem Abbiegen, bei jedem Ausscheren bitte immer schön angestrengt den Kopf über die Schulter werfen. Damals noch einigermaßen nervig, weil so ungewohnt für die Körperroutine, eröffnete die Notwendigkeit dieser körperlichen Verrenkung mit der Zeit doch so einige Vorteile für das unfallfreie Fahren. Nun, hier wird das nicht so gesehen. Der ouagalesische Verkehr birgt zunächst einiges Verwirrungspotential, worüber dann aber die Gewohnheit siegt. Das hohe Unfallrisiko aber bleibt.

Denn generell gilt: Alle fahren los und bremsen und biegen ab und überholen – so wie es ihnen beliebt. Das mag nun auch daran liegen, dass ein Führerschein ausschließlich für vierrädrige Untersätze notwendig ist. Und diese wiederum sind eindeutig in der Unterzahl im ouagalesischen Stadtverkehr. Am allerhäufigsten fahren hier Motorräder und Mopeds. Grob unterteilen möchte ich die Zweiräder in drei Kategorien. Zum einen gibt es da die beliebte P50 von Peugeot. Das ist ein Mofa ohne Blinker, ohne Tacho, ohne Schaltgetriebe, dafür mit Pedalen zum witzigen Herumstrampeln für das Motoranwerfen. Das ist technisch, aber auch prestigeträchtig die niedrigste Stufe. Die nächst höhere Kategorie teilen sich zwei Modelle: Die orange Yamaha und die moderne Matrix, Cypher oder Speed. Alle können blinken, schalten und die Geschwindigkeit muss nicht nur geschätzt werden. Die Yamaha ist eher old-school bis uncool, gilt dafür aber zumindest bei originär chinesischer Bauweise als zuverlässiger. Die schicke Variante der beplastikten und windschnittigen Cypher, Matrix oder Speed sind einfach mal cooler – und auch gemütlicher. Die Königsklasse ist dann die richtige Maschine, eine wirkliches Motorrad eben. Die Personenkraftwagen sind meistens alte Modelle, in Europa bestimmt als fahrtuntüchtig gestufte TÜV-Durchfaller. Hier und da verrät der internationale Länderaufkleber noch das Herkunftsland. Und manchmal lese ich lustige deutsche Werbesprüche auf vor allem Lieferwagen: „Blumen machen Freude“ von „Blumen Maier“ beispielsweise.

Mein ökologisches Bewusstsein, von dessen Existenz überhaupt ich erst hier erfuhr, hat dann auch bereits sehr früh Alarm geschlagen. Manches Mal, wenn ein fetter LKW, überladen und alt, sich bereits in der Ferne durch lauten Lärm und mächtige Abgaswolken ankündigt, denke ich mir: Gegen alle möglichen Krankheiten geimpft und Tabletten schluckend, letztlich wird mich doch eine Abgasvergiftung niederraffen. So entschied ich mich gegen die Anschaffung eines motorisierten Untersatzes; der Kauf eines geeignet Drahtesels scheiterte bislang noch an der Angst, gnadenlos über den Tisch gezogen zu werden. Zudem schwebt mir ein modernes Mountainbike mit mindestens 21-Gang-Schaltung vor; vielleicht etwas zu anspruchsvoll.

Glücklicherweise besitze ich aber zwei stolze Beine mit Füßen dran, Hurra!, so dass ich vor allem laufe, ganz simpel. Das wiederum wird von den burkinischen Menschen mit Respekt gezollt, überhaupt bemerkt und gerne mit Sport betitelt. Relativ schnell, weil notgedrungen, gewöhnte ich mich an die fehlenden Hilfsmittel für laufende Menschen. Fußwege gibt es generell nicht, ich bahne mir den Weg dort, wo mir Platz gewährt wird. Während ich mich in Deutschland gerne mal stumpf wartend an die rote Ampel stelle und erst artig bei grün die Straße überquere, hüpfe ich hier quer über die voll gestopfte Straße. Der Trick dabei: Mit Stolz geschwellter Brust ganz selbstbewusst dem Verkehr trotzen. Wenn ich dann die letzten Meter in ängstlichem Anbetracht der nahenden Blechkolonne im Laufschritt vollziehe, höre ich öfter mal ein aufmunterndes „Nassara, schnell, schnell!“.

Bei längeren Distanzen profitiere ich vom üppigen WG-Fuhrpark und schwinge mich auf den Sattel der P50. Holterdiepolter, über Stock und Stein. Alles ohne Helm, denn das ist zu warm und gar nicht zuträglich für das Haupthaar; Stichwort Helmfrisur. Glücklicherweise muss ich das auch nicht, denn als abhängig beschäftigter Mensch bei einer deutschen Entwicklungszusammenarbeits-Institution hingegen verpflichtet der Arbeitsvertrag zum Helmtragen. Tatsächlich nämlich sind Helme eher selten, fallen dann auch gleich auf. Und wie der mitwohnende Mensch Thomas richtig bemerkte, ist es fraglich, was nun wahrscheinlicher sei: Aufgrund eines unachtsamen Tempo-Mopeds aus der Seitenstraße auf der Straße zu verbluten, oder doch bei Temperaturen von 40 Grad plus ohne windige Abkühlung wegen des unfallschützendes Helmes einfach vom Moped zu fallen, weil die Eiweiße im Kopf gerinnen. Hm.

Weiter zur ouagalesischen Verkehrsmanier: Es gibt beispielsweise keine geregelte Anordnung der Fahrzeuge, die Motos fahren in vielfacher Reihe, schlängeln sich an der roten Ampel bis nach vorn zwischen den stehenden Autos hindurch. Ein links blinkendes Moped steht dann auch schon mal ganz rechts; nun, dann dauert es halt ein wenig länger beim Anfahren. Durch die fehlenden Straßenmalereien gibt es aber auch keine Sperrlinien oder –flächen, die verletzt werden könnten. Öfter mal ist der Weg durch ein Hindernis blockiert: ein langsam gurkendes Taxi, was einfach mal hoffnungslos überladen ist; oder ein waldschratparkendes Auto, was bis in die Fahrbahn hineinragt; oder Fahrräder und Mopeds, die eben nicht nur als Fortbewegungs-, sondern vor allem als Transportmittel verwendet werden, dann balanciert der fahrende Mensch eben eine gut drei Meter messende Metallstange auf der Schulter, ohne warnenden roten Wimpel freilich. Und dauernd fährt irgendetwas am Straßenrand los, ohne sich vorher über den Schulterblick nach hinten abzusichern, ob da gerade etwas angerumpelt kommt. An ampelfreien Kreuzungen wird das so geregelt: Die gerade fahrende Richtung hat so lange Vorfahrt, bis sich der Korso aus der wartende Straße bei der kleinsten Lücke in Bewegung setzt; dann sind die jetzt eben mal dran. Alles andere ergibt sich aus den wenigen Schildern; die Deutung eines „Stop“ ist nicht sonderlich schwierig, wird aber dann aber doch nicht immer beachtet. Die witzigen „Achtung Hückel!“-Schilder prägen sich spätestens nach dem ersten störenden Herumschütteln ein. Und der Rest wird eben an Ort und Stelle ausgehandelt.

Dennoch wird erstaunlich wenig gehupt – vielleicht auch weil die Hupe kaputt ist. Auch gibt es überraschend wenig Unfälle. Ich erkläre mir dieses Phänomen durch die allgemeine Defensivität, wenn auch nur nach vorne. Ich meine auch eine verdrehte Kräfte-Logik ausgemacht zu machen: je größer das Gefährt, desto umsichtiger die Fahrweise.

Um dem ganzen hier einen angekündigten literarischen Rahmen zu schenken: Aber mit Schulterblick wär’ das alles viel entspannter.