Vielleicht könnt ihr, die ihr eine Erlaubnis zum Führen eines Fahrzeuges habt, euch noch an die leidigen Ermahnungen des ambitionierten Fahrschullehrkörpers erinnern: Schulterblick! Bei jeder Kurve, bei jedem Abbiegen, bei jedem Ausscheren bitte immer schön angestrengt den Kopf über die Schulter werfen. Damals noch einigermaßen nervig, weil so ungewohnt für die Körperroutine, eröffnete die Notwendigkeit dieser körperlichen Verrenkung mit der Zeit doch so einige Vorteile für das unfallfreie Fahren. Nun, hier wird das nicht so gesehen. Der ouagalesische Verkehr birgt zunächst einiges Verwirrungspotential, worüber dann aber die Gewohnheit siegt. Das hohe Unfallrisiko aber bleibt.
Denn generell gilt: Alle fahren los und bremsen und biegen ab und überholen – so wie es ihnen beliebt. Das mag nun auch daran liegen, dass ein Führerschein ausschließlich für vierrädrige Untersätze notwendig ist. Und diese wiederum sind eindeutig in der Unterzahl im ouagalesischen Stadtverkehr. Am allerhäufigsten fahren hier Motorräder und Mopeds. Grob unterteilen möchte ich die Zweiräder in drei Kategorien. Zum einen gibt es da die beliebte P50 von Peugeot. Das ist ein Mofa ohne Blinker, ohne Tacho, ohne Schaltgetriebe, dafür mit Pedalen zum witzigen Herumstrampeln für das Motoranwerfen. Das ist technisch, aber auch prestigeträchtig die niedrigste Stufe. Die nächst höhere Kategorie teilen sich zwei Modelle: Die orange Yamaha und die moderne Matrix, Cypher oder Speed. Alle können blinken, schalten und die Geschwindigkeit muss nicht nur geschätzt werden. Die Yamaha ist eher old-school bis uncool, gilt dafür aber zumindest bei originär chinesischer Bauweise als zuverlässiger. Die schicke Variante der beplastikten und windschnittigen Cypher, Matrix oder Speed sind einfach mal cooler – und auch gemütlicher. Die Königsklasse ist dann die richtige Maschine, eine wirkliches Motorrad eben. Die Personenkraftwagen sind meistens alte Modelle, in Europa bestimmt als fahrtuntüchtig gestufte TÜV-Durchfaller. Hier und da verrät der internationale Länderaufkleber noch das Herkunftsland. Und manchmal lese ich lustige deutsche Werbesprüche auf vor allem Lieferwagen: „Blumen machen Freude“ von „Blumen Maier“ beispielsweise.
Mein ökologisches Bewusstsein, von dessen Existenz überhaupt ich erst hier erfuhr, hat dann auch bereits sehr früh Alarm geschlagen. Manches Mal, wenn ein fetter LKW, überladen und alt, sich bereits in der Ferne durch lauten Lärm und mächtige Abgaswolken ankündigt, denke ich mir: Gegen alle möglichen Krankheiten geimpft und Tabletten schluckend, letztlich wird mich doch eine Abgasvergiftung niederraffen. So entschied ich mich gegen die Anschaffung eines motorisierten Untersatzes; der Kauf eines geeignet Drahtesels scheiterte bislang noch an der Angst, gnadenlos über den Tisch gezogen zu werden. Zudem schwebt mir ein modernes Mountainbike mit mindestens 21-Gang-Schaltung vor; vielleicht etwas zu anspruchsvoll.
Glücklicherweise besitze ich aber zwei stolze Beine mit Füßen dran, Hurra!, so dass ich vor allem laufe, ganz simpel. Das wiederum wird von den burkinischen Menschen mit Respekt gezollt, überhaupt bemerkt und gerne mit Sport betitelt. Relativ schnell, weil notgedrungen, gewöhnte ich mich an die fehlenden Hilfsmittel für laufende Menschen. Fußwege gibt es generell nicht, ich bahne mir den Weg dort, wo mir Platz gewährt wird. Während ich mich in Deutschland gerne mal stumpf wartend an die rote Ampel stelle und erst artig bei grün die Straße überquere, hüpfe ich hier quer über die voll gestopfte Straße. Der Trick dabei: Mit Stolz geschwellter Brust ganz selbstbewusst dem Verkehr trotzen. Wenn ich dann die letzten Meter in ängstlichem Anbetracht der nahenden Blechkolonne im Laufschritt vollziehe, höre ich öfter mal ein aufmunterndes „Nassara, schnell, schnell!“.
Bei längeren Distanzen profitiere ich vom üppigen WG-Fuhrpark und schwinge mich auf den Sattel der P50. Holterdiepolter, über Stock und Stein. Alles ohne Helm, denn das ist zu warm und gar nicht zuträglich für das Haupthaar; Stichwort Helmfrisur. Glücklicherweise muss ich das auch nicht, denn als abhängig beschäftigter Mensch bei einer deutschen Entwicklungszusammenarbeits-Institution hingegen verpflichtet der Arbeitsvertrag zum Helmtragen. Tatsächlich nämlich sind Helme eher selten, fallen dann auch gleich auf. Und wie der mitwohnende Mensch Thomas richtig bemerkte, ist es fraglich, was nun wahrscheinlicher sei: Aufgrund eines unachtsamen Tempo-Mopeds aus der Seitenstraße auf der Straße zu verbluten, oder doch bei Temperaturen von 40 Grad plus ohne windige Abkühlung wegen des unfallschützendes Helmes einfach vom Moped zu fallen, weil die Eiweiße im Kopf gerinnen. Hm.
Weiter zur ouagalesischen Verkehrsmanier: Es gibt beispielsweise keine geregelte Anordnung der Fahrzeuge, die Motos fahren in vielfacher Reihe, schlängeln sich an der roten Ampel bis nach vorn zwischen den stehenden Autos hindurch. Ein links blinkendes Moped steht dann auch schon mal ganz rechts; nun, dann dauert es halt ein wenig länger beim Anfahren. Durch die fehlenden Straßenmalereien gibt es aber auch keine Sperrlinien oder –flächen, die verletzt werden könnten. Öfter mal ist der Weg durch ein Hindernis blockiert: ein langsam gurkendes Taxi, was einfach mal hoffnungslos überladen ist; oder ein waldschratparkendes Auto, was bis in die Fahrbahn hineinragt; oder Fahrräder und Mopeds, die eben nicht nur als Fortbewegungs-, sondern vor allem als Transportmittel verwendet werden, dann balanciert der fahrende Mensch eben eine gut drei Meter messende Metallstange auf der Schulter, ohne warnenden roten Wimpel freilich. Und dauernd fährt irgendetwas am Straßenrand los, ohne sich vorher über den Schulterblick nach hinten abzusichern, ob da gerade etwas angerumpelt kommt. An ampelfreien Kreuzungen wird das so geregelt: Die gerade fahrende Richtung hat so lange Vorfahrt, bis sich der Korso aus der wartende Straße bei der kleinsten Lücke in Bewegung setzt; dann sind die jetzt eben mal dran. Alles andere ergibt sich aus den wenigen Schildern; die Deutung eines „Stop“ ist nicht sonderlich schwierig, wird aber dann aber doch nicht immer beachtet. Die witzigen „Achtung Hückel!“-Schilder prägen sich spätestens nach dem ersten störenden Herumschütteln ein. Und der Rest wird eben an Ort und Stelle ausgehandelt.
Dennoch wird erstaunlich wenig gehupt – vielleicht auch weil die Hupe kaputt ist. Auch gibt es überraschend wenig Unfälle. Ich erkläre mir dieses Phänomen durch die allgemeine Defensivität, wenn auch nur nach vorne. Ich meine auch eine verdrehte Kräfte-Logik ausgemacht zu machen: je größer das Gefährt, desto umsichtiger die Fahrweise.
Um dem ganzen hier einen angekündigten literarischen Rahmen zu schenken: Aber mit Schulterblick wär’ das alles viel entspannter.
5 Kommentare:
Da geht mir ja der Hut hoch, dass Du Dich unbehelmt dem Straßenverkehr aussetzt! Mit Argumenten der "gibt auch Kettenraucher, die nicht an Lungenkrebs sterben"-Güteklasse!
Aber vielleicht bin ich auch nur zu feige und Du bist eine fiese, lebensverachtende Rockerin und lachst nur über Risiken. So verklärt man sich das ja oft und zieht noch einen netten Distinktionsgewinn raus.
Du hast ein Huhn! Ich bin neidisch.
Und: Ja, du solltest einen Helm tragen, Kind. Du musst doch auch unbeschadet wieder im kalten, nassen Deutschland ankommen!
Nein. Ich bin dagegen, möchte meine Anti-Helm-Position doch noch ein bisschen erklären, sie klang ja nur kurz an.
Et liegt janz einfach an die Haare. Wenn ich immer noch so einen langen Zottel da rumhängen hätte oder einfach nur elendig glatte Loden - kein Problem. Aber diese sensiblen Locken, die so viel Zuwendig bedürfen, die bei jeder Veränderung der Luftfeuchtigkeit, der Windstärke und -richtung ihre Beschaffenheit verändern - und erst recht, wenn ihn ein enger Helm den Platz zum Entfalten nimmt. Das ist einfach unverantwortlich. Gegenüber meinen Haaren und auch gegenüber meinen Mitmenschen, die dann dieses entstellte Haupthaar sehen müssen.
Das ist eine Frage der Ästhetik. Ganz klar.
Lisa! Ich bin schockiert! Das ist keine sehr gute Rechtfertigung. Ein gewisser Todesdrang, Rockerleben, das wäre alles besser als so ein schnöder Grund wie Haare...
Vielleicht ja so:
Der mitwohnende Mensch Thomas hat am Samstag Abend in gutgelauntem Uebermut seinem schuetzendem Helm einen eigenen Warentest unterzogen: Den Helm mal aus gut drei Meter Hoehe auf Beton fallen lassen. Ergebnis: Die plastende Schale ist in mehrere grosse, scharfkantige Einzelteile zerberstet, die bei spektakulaeren Unfallmannoevern durchaus in den darunter liegenden Schaumstoff pieken koennen. Bis zum Kopf ist es dann nicht mehr weit. Und ohja!, das war ein guter BurkinaMoto-Helm.
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