Donnerstag, 11. Dezember 2008
Statistische Diskriminierung
Jüngstes Beispiel: Nach einer GTZ-Abendveranstaltung wollte ich mit zwei anderen Praktikanten nach Hause fahren. Ein Tuktuk aufzutreiben war schwierig, weil das GTZ-Büro nicht gerade an einem Hotspot für Personenumschlag liegt. Zusätzlich wollten wir zusammen in einem einzigen Tuktuk eine Tour fahren: Erst zu Praktikant 1, dann zu Praktikantin 2, dann zu mir nach Safdarjung Enclave. Das hatte den Vorteil, das Praktikantin 2 nicht nachts alleine mit einem Tuktukfahrer durch die Gegend gondeln musste, und wir nicht jeder einzeln auf Tuktuks warten mussten. Der Nachteil lag erstmal darin, dass uns schöne Phantasiepreise geboten wurden, weil die Fahrer bei der komplizierten Strecke einen größeren Informationsvorteil gegenüber uns haben. Wir können nicht so leicht einschätzen, was ein fairer Preis ist (fairer Preis = was ein Inder zahlen müsste).
Schließlich einigten wir uns mit jemandem auf 180 Rupien. Wir waren schon unterwegs, als mir die Lederjacke des Fahrers auffiel! Oh nein, ein Sleazebag!, signalisierte ich meinen Kollegen auf der engen Rückbank, die nicht für drei Europäer konzipiert war.
Das Heim von Praktikant 1 musste schon ausgiebig gesucht werden, mehrere Passanten wurden befragt, mehrere U-Turns gemacht. Wenn man in ein Tuktuk steigt, sollte man schon selber wissen, wo man genau hinwill und wie man da hinkommt. Praktikant 1 war schließlich grob in der Nähe seiner Wohnung abgesetzt, also weiter zu Praktikantin 2. Sie versuchte mehrmals den Fahrer darauf hinzuweisen, dass er gerade an ihrem Viertel vorbeifährt, aber er ließ sich nicht beirren.
Gut, er ist der Experte, vielleicht gibt es eine Abkürzung? Gibt es nicht! Er war schon einen Kilometer vor meinem Zuhause, als er zugeben musste, keine Ahnung zu haben, indem er einen Passanten nach dem Weg fragte. Der wies ihm natürlich auf dem gleichen Weg zurück, woraufhin er ziemlich verzweifelt guckte: Könne er nicht erst mich absetzen und dann Praktikantin 2? ... Nein, nein, Sleazebag, kannste nicht. DU nicht.
Also nochmal kilometerlang zurück, dort wieder rumgeirrt und Praktikantin 2 abgesetzt. Puh. Schon ganz schön spät. Jetzt sollte es wieder zurück in mein Viertel gehen, nach Safdarjung Enclave. Wo er eben schon war. Aber erstmal hielt er nach hundert Metern am Straßenrand, stieg aus und murmelte was von "Bathroom". Aha, ok, ich sah auf das öffentliche Urinalhäuschen am Straßenrand, alles klar. Ich stieg aus, weil Lederjacken-Sleazebag mich schon ganz nervös gemacht hatte und ich mehr Überblick brauchte. Er kam nach zwei Minuten noch nicht zurück und ich malte mir aus, wie er per Handy mit seinen Buddies ausmachte, wo sie mich überfallen werden.
Zudem machte mich nervös, dass jemand Anderes von aussen an das Klohaus pisste anstatt reinzugehen... war der Tuktukfahrer etwa auch gar nicht reingegangen? Ich fasste den Entschluß, nachzusehen. Ein paar Schritte Richtung Pisshaus erblickte ich seinen Kopf, der hinter einem Müllcontainer hervorlugte. AHA! Dort, zwischen Container und Mauer, versteckt er sich und telefoniert mit seinen Räuberfreunden! Aber als er mich kommen sah, stand er aus der Hocke auf und zog dabei mit einer flüssigen Bewegung seine Hose hoch.
Ach so, ich hatte ihn beim Kacken erwischt!
Na gut, peinliche Situation, wir sagten beide nichts und stiegen wieder ins Tuktuk.
Obwohl er noch vor zwanzig Minuten fälschlicherweise in Safdarjung war, fand er den Weg dorthin nicht mehr. Ein äußerst hilfreicher Mann am Straßenrand übersetzte minutenlang meine Beschreibungen ins Hindi (hauptsächlich "he was there half an hour ago, how can he not find it???") und sprintete dann weg; offensichtlich hatte ihn dieser nette Dienst am Mitmenschen unter Zeitdruck gesetzt und er musste sich beeilen.
Es kamen unglaublich viele U-Turns, weil der Fahrer aus irgendeinem Grund nicht den Highway benutzen, sondern quer durch Green Park fahren wollte. Green Park ist ein Viertel, was zwischen uns und Safdarjung liegt. Wäre schon schneller, wenn es klappt. Nun muss man aber wissen, dass die Viertel hier nachts mit großen Metallgattern verschlossen werden. Man kommt dann nur noch durch ein einziges Tor rein, an dem mindestens ein dick eingemummter Wachmann sitzt und aufpasst.
Normalerweise gibt es eine befahrbare Strecke durch Green Park, aber die war durch Bauarbeiten verschlossen. Vor der Baustelle guckte der Fahrer erstmal doof, erkundigte sich wie immer bei einem Fußgänger und probierte jede kleine Parallelstraße, die immer an den besagten Gattern endeten, die die Viertel einhegen. Bis wir da rauswaren...
Nach insgesamt bestimmt einer Stunde war die Tour beendet, ich konnte an meinem Gate aussteigen. Ich begann die 180 Rupien rauszusuchen, da meinte er, ich solle ihm jetzt 300 Rupien geben. Wat, warum? Weil es so lange gedauert hatte, erst waren wir schon in Safdarjung, dann mussten wir noch zurück, usw.
Wir unterhielten uns dann ein paar Minuten darüber, er auf Hindi und ich auf Englisch. Um zu zeigen, dass die Fahrt übermäßig lange dauerte, holte er sein Handy raus und zeigte aufs leuchtende Display, nannte dazu immer wieder die Namen der Viertel, die wir durchfahren hatten und ruderte groß mit den Armen, was die Größe Delhis und die Weite der Wege symbolisierte.
Ich hingegen legte meine Handgelenke immer wie durch Handschellen gefesselt aneinander, befreite mich aus den imaginären Fesseln und sagte dazu "We are free people! You agreed to 180! You didn't have to! We would have found someone else!".
Da packt mich dann auch der Stolz, ich komme ja aus einer Taxifahrerfamilie. Entweder fährt man nach Taxometer (ja, sowas haben die Rikschas!) oder man entscheidet sich, die Bleichgesichter per ausgehandelten Fixpreis extra auszunehmen, weil man die Angebotsknappheit am GTZ-Büro ausnutzen kann. Aber wenn man einen Fixpreis macht, gilt der auch! Wenn er Aufschläge für eigene Orientierungsfehler wollte, hätte er es vor Vertragsabschluß einbringen sollen.
Er fuhr also beleidigt mit 180 Rupien weg.
Sleazebag.
Donnerstag, 27. November 2008
Delhi is not Mumbai
Hier geht das Leben ganz normal weiter, ich habe im Büro noch nichtmal jemanden davon reden gehört. So richtig privilegierte Informationen habe ich auch nicht, ich habe nur eben in der Mittagspause mal indische Nachrichtensender geguckt.
Was ist demnach gerade los? Spezialeinheiten der Polizei wurden nach Mumbai eingeflogen, eine Infanterieeinheit des Heeres und zehn Luftwaffen-Flugzeuge hingebracht. Delhi steht unter "high alert", was auch immer das heißen mag, und jemand aus der Regierung sprach von einer "warlike situation".
Naja, es befinden sich noch vom Fernsehen geschätzte 50 Geiseln in der Hand der Terroristen, die sich in zwei oder drei Hotels verschanzt haben, wenn ich das richtig sehe. Andere Terroristen sind angeblich mit gestohlenen Polizeiwagen flüchtig. Es gibt ein Video, das man auch auf CNN bewundern kann, in dem aus einem vorbeifahrenden Polizeiwagen ein drive-by auf eine Menschenmenge verübt wird.
Wie immer haben die Terroristen natürlich keine Chance, einen stand-off zu gewinnen. Indien hat unheimlich viele Sicherheitskräfte, darunter viele Anti-Terror-Leute. Ziel ist auch mehr die Destabilisierung des Staates durch selbstmörderische Angriffe auf "weiche" Ziele usw.
Wem erzähle ich das, hier lesen eh nur Politologen mit, oder?
Jedenfalls: Mir geht es gut, und in den Delhi-Äquivalenten der Anschlagsziele von Mumbai findet man mich kaum - mir ist im Taj Mahal Hotel selbst der Keks zum Kaffe zu teuer. Also keine Sorge...
Freitag, 21. November 2008
Und Dehradun...
Einmal den Ambassador. Das ist der schneeweiße Luxusschlitten mit britischen Wurzeln, der hier von der Oberschicht bevorzugt wird. Das Ding ist Statussymbol und meist steinalt, weil die Dinger schon ewig produziert werden und anscheinend nicht kaputt gehen. Vom Flughafen und zurück durfte ich also den Komfort dieser Luxuskarosse geniessen. Beim Anlassen hört sich der Wagen ein wenig nach Trabant an, und auch die Beschleunigung haut einen nicht vom Hocker. Auf der Landstraße überholt man natürlich trotz Gegenverkehr und hupt dabei, damit das überholte Fahrzeug Platz macht und auch sonst jeder (z.B. der Gegenverkehr!) alarmiert wird. Weil die Beschleunigung so mies ist, hat der Ambassador lange Überholwege und der Fahrer muss immer extra lange dauerhupen.
Es gibt eine Gardine, mit der man das Rückfenster zuziehen kann. Leider ist die Gardinenstange in Kopfhöhe angebracht, damit man unsanft aufwacht, wenn man trotz Dauergehupe mal einnickt und der Kopf zur Seite fällt. But other than that: Very stylish. Und wenn man irgendwo einfährt, ist jedem gleich klar: Da kommt jemand mit Status.
Zweitens bin ich Wahnsinniger hinten auf einem Motorrad mitgefahren. Typisch chaotischer Stadtverkehr, kein Helm, der Fahrer geht dauernd ans Handy, das er sich zwischen Helm und Ohr klemmt (ja, richtig, ER hatte einen Helm!). Ich versuchte, mich vor Fahrtantritt noch schüchtern zu wehren, dass mir das zu gefährlich sei, aber ich ließ mich durch Situationsdruck und die goldene Brücke des Fahrers ("Everything will be fine!") breitschlagen.
Stunden später im Bett fiel mir dann allerdings auf, was für eine dumme, dumme Entscheidung es ist, sein Leben ungeschützt dem indischen Straßenverkehr anzuvertrauen. Never again.
Mist, das hätte ich nicht schreiben sollen, stattdessen so eine Geschichte draus stricken, wie ich hier als wagemutiger James-Dean-Rocker durchs Leben rausche, oder?
Dehradun ist sonst nicht der Rede wert, im Vergleich mit Delhi natürlich ein verschlafenes Nest.
Als Sehenswürdigkeit gibt es den Berg, auf den man mit dem Auto durch Serpentinen fahren kann. Dort gibt es angeblich Tempel oder sowas zu sehen und man kann auch die Himalaya-Kette erspähen. Das werde ich natürlich nicht machen, da mir bei solchen Gebirgsfahrten sofort schlecht wird, zumal mit dem indischen Fahrstil. Wäre die Stadt nur aufregender, ich werde den Januar und Februar dort zubringen...
Zum Abschluß noch schnell berichtet: Meine Kollegen starrten mich ungläubig an, weil ich Curd Rice nicht kenne. Das ist eine indische Sonderheit: gekochter Reis in kaltem, säuerlichen Quark mit ein paar (Kümmel-?) Körnern und scharfen Gewürzen drin. Kann man hier ohne Beilage so essen, ist optisch und von der Konsistenz mit Milchreis vergleichbar. Schmeckt nicht so dolle, finde ich. Curd Rice!
Montag, 17. November 2008
The Worlds Largest Cannon on Wheels! In Jaipur!
Eine Bekannte und ich wollen nach Jaipur, und da unser Zug um 6:05 Uhr morgens abfährt und zu der Zeit kaum Tuktuks auf den Straßen fahren, habe ich mir eine Taxi-Rufnummer besorgt. Dann der erste Lacher um 4:30 Uhr morgens: Der Taxi-Mensch bietet mir am Telefon einen Fixpreis von 600 Rupien. Das ist mal unverschämt, also lache ich den Typen an, lehne das Angebot ab und gucke etwas verzweifelt auf der Straße, ob nicht doch ein Tuktuk vorbeifährt. Tatsächlich habe ich Glück und kann einen Fahrer ranwinken, der bei 300 Rupien zu handeln anfängt. Weit und breit keine Konkurrenz, da lässt er sich nicht weit drücken. 220 Rupien kostet die Fahrt, bei Tag hätte es bis zu 100 gekostet. Noch ein Vergleich: Das (schwer staatlich subventionierte) Zugticket nach Jaipur kostet pro Person 500 Rupien.
Im Zug ins etwa 250 km entfernte Jaipur dann jede Menge Service. Pro Waggon sind zwei Leute zuständig, den Passagieren Wasser, Tee, Kaffe, mehrere Schübe Snacks und Essen zu bringen und abzuräumen. Es läuft die indische Version von Fahrstuhlmusik aus blechern klingenden Lautsprechern und beim Ein- und Aussteigen kann man sich über die indische Gedränge-Taktik wundern: Jeder geht die Richtung seines Ziels ohne irgendwelche Rücksicht auf Andere zu nehmen. Survival of the fittest, aber es funktioniert - niemand erbost sich über Andere oder kommt am Ende nicht auf seinem Platz an.
Meine Lieblingsaktion: Ich stehe im engen Gang des Zuges und komme gerade nicht vorwärts - man kennt das ja, vor einem steht ein Knäuel von Menschen, die versuchen, ihre Koffer in die Deckenablage zu hieven. Die Frau hinter mir greift mit dem linken Arm an mir vorbei und fasst an den Sitz vor mir, wie um sich im nächsten Moment mit reiner Bizeps-Kraft an mir vorbeizuzwängen. Da das wenig erfolgsversprechend ist, hat sie folgerichtig noch die Alternativstrategie, mir mit rechts ihre Reisetasche im Sekundentakt in die Unterschenkel zu bommern. Aber wie gesagt, das ist hier normal und keine böse Absicht. Kein Grund, sich aufzuregen. Man versucht einfach, selbstfixiert seine Sache durchzuziehen und ist keinem Mitmenschen böse, wenn der einem beim gleichen Versuch in den personal space hineinragt.
Reichlich vollgestopft kommen wir nach etwa sechs Stunden in Jaipur an, erwehren uns der üblichen Taxifahrer- und Geschäftswerberplagen und kaufen schonmal unsere Rücktickets. Dabei schön mit dem üblichen, bürokratischen Formular in einer Schlange vor einem Sonderschalter für tourists, senior citizens, freedom fighters, journalists und disabled persons stehen, in dem gerade Mittagspause gemacht wird.
Der Jaipur-Aufenthalt wird von der Hostelsuche eingeleitet. Wir bemerken eine Faustregel: Wer mit seiner Absteige im Lonely Planet steht, erhöht daraufhin gerne erstmal seine Zimmerpreise um den Faktor 20. Wir landen letztlich in einer geradezu pittoresken Hinterhof-Absteige, in deren Park Pfaue rumlatschen! Gut, es gab keine Bettdecken (hätten wir die am Empfang einfordern müssen? - man weiß es nicht) und es gab den üblichen Schmutz, der in Backpackerführern schon klischeemäßig überall festgestellt wird. Aber der Preis war einigermaßen in Ordnung. Und in weiser Voraussicht habe ich eine Klopapierrolle dabei - in Jaipur findet man das westliche System mit dem Klopapier nicht durchgehend, stattdessen gibt es den kleinen Wasserhahn mit Eimerchen neben der Toilette.
Von Jaipur sehen wir an diesem Tag vor allem den Basar, eine kilometerlange Reihe von jeweils etwa drei Meter breiten Ladenfronten - es müssen hunderte sein. In jedem zweiten der Läden springen die Verkäufer beim Anblick eines nahenden Europäers auf, stellen sich einem in den Weg und beginnen ein Verkaufsgespräch, dabei immer schön ein "No" sowie alles andere ignorierend. Sehr nervig schon nach kurzer Zeit, verkaufen sie doch alle für meine ungeübten Augen den gleichen, bis ins I-Tüpfelchen identischen Tand. Entweder Schmuck oder Lederschuhe oder Stoffe/Kleidung. Flieht man vom Bürgersteig auf die Straße, landet man bei den Rikschafahrern, die anhalten und sich für eine Fahrt aufdrängen. Und sich ebenfalls von Ablehnung nicht beeindrucken lassen und weiter fragen, als würde man sich dadurch dann plötzlich umentscheiden und doch irgendwo hin fahren wollen.
An fast jedem Eingang zu einer Seitenstraße sind einige Urinalbuchten in die Häuser eingebaut, bei denen man immer beiläufig den Männern beim Pinkeln zugucken darf. Dementsprechend riecht es dort auch (Luft anhalten!). Als kleiner Einschub: Pissende Männer sind auch in Delhi alltäglich, es wird einfach am Strassenrand angehalten und der nächsten Mauer zugewandt. Wo keine Mauer ist, kann man aber auch Pech haben: Am Delhi-Bahnhof hatten wir das unerfreuliche Erlebnis, dass sich jemand vor der großen Menge der am Bahnhof wartenden Tuktukfahrern abwandte, um in Richtung der Zufahrtsstraße zu pinkeln, auf der wir gerade einfuhren.
Abends noch ein Kinobesuch: Ein Bollywood-Film auf Hindi mit viel Gesang und Tanz. Die weibliche Hauptperson leidet ganz fürchterlich unter den Resultaten ihres stock-konservativen Entscheidungsmusters - hauptsächlich indem sie jahrzehntelang (!) nicht mit ihrer großen Liebe zusammen kommt, weil dessen Mutter das nicht will oder sie für ihre Geschwister dasein muss oder sowas. Das demonstrative und melodramatische Leiden dieser Frau geht nicht etwa der Umgebung auf die Nerven, nein, alle lieben und verehren sie dafür; letztlich bekehrt sie ihre Umgebung sogar zur heilen Welt des Patriarchats und für ihre demonstrative Spaß- und Lebensfeindlichkeit kriegt sie das Happy End, doch noch den Traumprinzen heiraten zu dürfen, weil die zulässige Autorität (Mutter des Bräutigams) es der inzwischen ungefähr 40jährigen für ihre konsequente Selbstverleugnung erlaubt. Schrecklich, aber die anderen Besucher finden es gut. Als das Paar zum ersten Mal schüchtern Händchen hält, braust eine Welle des Jubels durchs Kino.
Einschub: Nacktheit ist im indischen Fernsehen und Kino nicht erlaubt, sogar Ansätze wie die Klempner-Falte werden großflächig verpixelt. In indischen Filmen wird auch nicht geküsst, stattdessen bewegt sich der Mund des Mannes immer undefiniert Richtung Hals der Frau, woraufhin die ekstatisch guckt. Kommen in ausländischen Filmen Küsse vor, zoomt der indische Nach-Zensor digital von der Bildmitte weg, man sieht dann keine sich berührenden Lippen mehr, sondern nur noch sich bewegende Haaransätze.
Am nächsten Tag latschen wir durch ein paar Paläste, für die Jaipur berühmt ist. Der City Palace verlangt 300 Rupien von foreign visitors, also schleichen wir uns lieber aus Versehen durch den Hintereingang des Palast-Cafes ein (HA!). Im gift shop gibt es das unschlagbar suggestive T-Shirt mit der Aufschrift "Worlds Largest Cannon on Wheels!" und Kanonen-Foto leider nicht mehr.
Die Paläste sind Prunkbauten und deutlich schöner als die bisher angegafften Sehenswürdigkeiten in Delhi. Der Palast der Winde war eigentlich nur für die Frauen des Herrscherhofes gebaut, durch kleine Fenster in der Fassade konnten die ansonsten von der Umwelt fern gehaltenen Frauen das Treiben der Stadt beobachten.
Die Paläste sind weitläufig und leer, am Eingang gibt es jeweils Ballungen von den Nepp-Spezialisten, die sich durch Touris finanzieren und aufdringlich-rücksichtslos an einen heranschwärmen: Guides, Rikschafahrer, Bettelkinder. Sehr nervig auf die Dauer. Auch noch schön: vor dem City Palace werden in einem Vorhof jede Menge Nuss-Sorten und sonstiges Knabberzeugs offen verkauft, gleichzeitig beherbergt der Hof aus irgendeinem Grund so um die tausend Tauben, die immer mal wieder über diesen offenen Nuss-Behältnissen schwärmen. Mir kann niemand erzählen, dass da nicht dauernd Exkrement in den Nüssen landet... zwischendrin wohnen dort auch noch ein paar Ziegen, aber davon sehe ich ja schon ab.
Die Rückfahrt am zweiten Tag ist dann wieder unspektakulär, wenn man den Trubel schonmal mitgemacht hat: Viel Essen, viel Gedränge, people with a different concept of personal space. Highlight noch in Jaipur: Ein Rikschafahrer quatscht mich am Bahnhof ungefragt an ("Hello, Friend! Where are you from?" - immer die gleichen Sprüche) und gibt irgendwelche Tipps. Er wird natürlich von mir ignoriert und fragt dann gespielt beleidigt "Why are you so suspicious?" - "Because I've been in India for a month". Das hat er eingesehen.
Spätabends in Delhi angekommen dann eine halbe Stunde Verhandlungen mit Tuktukfahrern, die nicht bereit sind, Europäern einen vernünftigen Preis zu machen. Normal...
Ein schöner Trip! Es gab viel zu erleben und an der für Ausländer allgegenwärtigen Nervigkeit der Umstände ist mir vor allem aufgefallen, wie leicht ich inzwischen damit umgehen kann. Wat will man mehr?
Sonntag, 16. November 2008
Dr Jain's Cow Urine Therapy Health Care Center
Ich wunderte mich, dass diese Behandlungsmethode nicht mit all dem anderen Quatsch (Reiki, Homöopathie, Ayurveda) in Deutschland Fuß gefasst hat. Aber anscheinend ist die Kuh-Urin-Therapie Teil des Ayurvedischen Behandlungskatalogs, also ist das keine echte Marktlücke mehr.
Was ich auf meiner Indore-Reise gelernt habe:
- Inder trinken gerne Whiskey.
- Dienstpersonal (Kellner in Hotels, Taxifahrer etc.) wird von Indern extrem herablassend und herrisch behandelt. Das hat seine Wurzeln wohl kulturell im Kastensystem und ökonomisch im Einkommensgefälle (man kann es sich leisten).
- Workshops brauchen Moderatoren; Inder pflegen männlich-dominantes Redeverhalten: Wer den Vorredner am lautesten unterbricht, bekommt Rederecht.
- Die harmlosen Eiswürfel im Mocktail sind pures Gift aus Leitungswasser und können einen tagelang über Magen-/Darmprobleme ausschalten.
- Als ich typisch gedankenverloren mit offenem Hosenstall zum Frühstück lief, kam unter einem Vorwand ein hilfreich-aufmerksamer Hotelangestellter an meinen Tisch, um mir den netten "Your Zip is open"-Hinweis zu geben. Wahrscheinlich macht sowas den Unterschied aus, der die vergleichsweise hohen Übernachtungskosten rechtfertigt (2500 Rupien = 40 Euro!).
- Der teuerste Salat auf der Karte im Crown Palace Hotel ist ein Fruchtsalat in süßem Quark. Mit fiesen Kernen.
Tja, das war auch schon Indore... ich war für zwei Übernachtungen dort, es gab jeweils eine Abendbespaßung mit Kollegen in den teuren Hotelrestaurants und daneben wenig Zeit für eigene Unternehmungen.
Einzig am letzten Tag konnte ich mich vor der Abreise noch einmal in den Zoo davonstehlen. Schlechte Idee, ich hätte mir eigentlich denken können, daß die Tiere dort nicht korrekt behandelt werden: Kleine Käfige, in denen halbverrückte Tiger auf- und abpirschen, angekettete Elephanten mit Verhaltensstörungen, vor den Käfigen die indischen Besucher, die die Aufmerksamkeit der Tiere mit lauten Rufen, Pfiffen oder Händeklatschen auf sich ziehen wollen.
Nicht schön. Ich kann also bestätigen, daß es wirklich weiße Tiger gibt. Den Zoobesuchern wünsche ich eine ausgiebige Cow Urine Therapy.
Donnerstag, 30. Oktober 2008
Unterwegs
Warum wird soviel gebremst und beschleunigt? Ein Einblick in das indische Fahrverhalten ist faellig. Ganz grob wird auf der linken Seite einer Strasse gefahren, ein Ueberbleibsel englischer Kolonialzeit. Wenn der Gegenverkehr noch weit weg zu sein scheint, fahren die Leute aber auch rechts, das macht nichts. Durchgezogene Linien gibt es zwar, werden aber ignoriert. Ueberhaupt, diese Linien: Strassen, die fuer zwei Spuren ausgelegt sind, werden mindestens dreispurig befahren, dreispurige Strassen fuenfspurig usw.
Ueberholt wird, wo Platz ist, links oder rechts von dem vor einem fahrenden Auto. Ist das vor einem fahrende Auto allein auf der Strasse, faehrt es grundsaetzlich immer in der Mitte der Fahrbahn, also halb auf der Ueberholspur. Dann muss man erstmal die Lichthupe benutzen. Beim Ueberholmanoever ist das mehrmalige Hupen ganz wichtig, weil hier niemand einen Schulterblick macht und man nicht weiss, ob der zu ueberholende ploetzlich nach links oder rechts ausbricht, weil sich ja eh niemand an die Spuren haelt. Funktioniert aber, wenn jemand eine Hupe von rechts hoert, faehrt er auch meistens nicht nach rechts.
Bei dichterem Gedraenge wird nicht etwa vorsichtiger gefahren. Die Fahrer kaempfen um jeden Vorteil und wenn man ein beschleunigunsgsstarkes Auto hat, stoesst man mutig und hupend in jede Luecke vor, die sich bietet. Einen Extremfall sah ich heute auf der Fahrt: Jemand hatte ein schnelles Auto und fuhr mit hoher Geschwindigkeit Schlangenlinien durch die anderen Autos - mal links, mal rechts ueberholend. Auf einer in unserer Richtung zweispurigen Strasse, die natuerlich von drei Reihen befahren wurde.
Tja, deshalb wird also viel gebremst und beschleunigt!
Im indischen Strassenverkehr gibt es eine eigentuemliche Auffassung von persoenlicher Sicherheit. Motorradfahrer sind zahlreich und tragen meistens einen Helm. Sie wollen ja nicht unverantwortlich sein. Wenn die Freundin auf dem Soziusplatz mitfaehrt (im Damensitz, also beide Beine zur einen Seite schraeg drauf sitzend), traegt sie meist keinen. Auf dem Weg nach Faridabad sah ich auch einen pflichtbewussten Helmtraeger, er hatte seine beiden Kinder (unter 4 Jahre, schaetze ich), vor sich auf dem Sitz sitzen, natuerlich ohne Helm. Auch schon gesehen, drei erwachsene Maenner auf einem Motorrad, wieder nur ein Helm.Und so wird froehlich mit ueber 80 km/h ueber die Highways gebrettert, immer schlangenlinieg in Luecken rein und das Hupen nicht vergessen!
Faridabad hat groessere Tuk-tuks (Autorikschas) als das poshe Neu-Delhi. In Tuk-tuks in Neu-Delhi habe ich schonmal fuenf Fahrgaeste gesehen, obwohl die Dinger fuer zwei (hoechstens drei, wenn man sich quetscht!) Fahrgaeste ausgelegt sind. Aber wenn ich richtig ueberschlagen habe, fasste das eine Tuk-tuk in Faridabad acht Menschen, die zwar zu den Seiten und hinten rausguckten, aber es ging. Dass Leute irgendwo raushaengen, ist auch normal. Ebenfalls in Faridabad sah ich einen Lastwagen, dessen Pritsche mit stehenden Menschen gefuellt war. Eine handvoll stand draussen auf der Stossstange und hielt sich an der Tuer fest, um nicht runterzufallen.
Ist alles nicht schlimm, man gewoehnt sich dran. Nur moechte ich nicht dabei sein, wenn irgendwo mal ein schwerer Unfall passiert, das geht wahrscheinlich gleich uebel aus.
Falls sich noch jemand interessiert, was in meinem Diwali-Geschenkkarton war: Die Packung nennt sich "Double Mazaa" und beinhaltet "Rasgulla (Tin)", "Soan Papdi" und "Aloo Bhujia". Leider keine Schokolade.
Montag, 27. Oktober 2008
Happy Diwali
Nicht so dezent wie Silvester in Deutschland, mal ein halbes Stuendchen ein paar Raketchen. Neeeeeein, stundenlang. Ich wurde gewarnt, dass ich nicht viel schlafen koennen werde. Wir werden sehen. Zur Uebung wurde die letzten Naechte schon geboellert, teilweise hoerte sich das mehr nach Bombenanschlaegen an. Kurz nach Mitternacht sah ich einen Explosionsblitz durch meine geschlossenen Augenlider, bevor ich gleich darauf den Knall hoerte. Die Scheiben blieben ganz, es flogen keine Truemmer gegen mein Haus und ich konnte danach keine Sirenen vernehmen, also war es nur einer dieser normal grossen Boeller, keine Selbstmordattentaeter-Tanklaster-Sprengladung, die einen Haeuserblock dem Erdboden gleichgemacht hat.
Jedenfalls wuenscht man sich "Happy Diwali", schreibt Emails mit kitschigen, aber lieb gemeinten Neujahrswuenschen betreffend Prosperitaet, Gluecklichkeitsniveau und Frieden, und schenkt sich Trockenfruechte, wobei mit hier hauptsaechlich Nuesse gemeint sind. Ich habe vom Projekt ein kiloschweres Geschenk bekommen, etwa so gross wie ein Drucker. Meine Hoffnung ist, dass das ein Karton voll Schokolade ist.
Also: Happy Diwali morgen!
Montag, 20. Oktober 2008
Recycling
Da kann ich die Bundesliga nicht verfolgen, weil ich zuhause kein Internet habe und im Fernsehen nur Premier League und Cricket kommt (FUCK Cricket!) und lese also Montag morgens, was passiert ist. Nicht nur hat Frankfurt verloren, nein:
"Erst ein indirekter Freistoß von Kadlec in der 61. Minute brachte Torgefahr und prompt die Entscheidung! Nikolov konnte den Gewaltschuss des Tschechen nur nach vorne abklatschen, Vidal köpfte freistehend zum 2:0 ein."
Nikolov konnte einen Gewaltschuss nur nach vorne abklatschen - lernt der das denn nie? Ich kann mir die Szene richtig gut vorstellen, weil das in jedem dritten Spiel vorkommt.
Indischer Fussball uebrigens: Sehr statisches Spiel, die Leute bewegen sich nur in Ballnaehe. Viel Ordnung ist nicht zu erkennen, die wuerden in der Regionalliga nicht mithalten. Aber teilweise herausragende Einzelspieler gibt es, die aus Afrika und Restasien eingekauft wurden.
Gestern habe ich ein Spiel gesehen, bei dem eine Mannschaft das auf die Spitze getrieben hatte. Ein bulliger Afrikaner vorne drin, der die indischen Verteidiger um einen Kopf uebrerragt, das ist hier normal, hat jede Mannschaft. Die hatten zusaetzlich noch ein paar enorm laufstarke Trickser fuer die Aussenbahnen eingekauft, die dann auch klassisch afrikanisch spielten. Ball in der eigenen Haelfte holen und dann mit dem Ball am Fuss bis vors Tor sprinten. Klar, die waren deutlich schneller als ihre Gegenspieler, aber trotzdem muss man doch nicht ungezwungen dauernd in eins gegen eins Situationen gehen.
Die indischen Verteidiger sind aber meist recht entschlossen, da wird mit ordentlich Karacho reingegraetscht. Nur Kopfbaelle koennen sie nicht richtig. Die eine Mannschaft hatte einen kopfballstarken Mittelfeldspieler, da hat jedesmal der Baum gebrannt, wenn die einen Standard hatten. Egal, wo die Flanke hinkam, der ist hingelaufen und kam zum Kopfball. Konnten die anderen nicht verhindern. Weiss noch nicht, ob mir die hiesige Spielkultur gefaellt.
Fankultur: Die Leute sitzen in dem spaerlich gefuellten Stadion rum und machen nichts. Ab und zu knallt einer mit einem lauten Boeller.
Zum Schluss nochmal: FUCK Cricket!
Freitag, 17. Oktober 2008
Kurze Assoziationen bzw. Verschiedenes
Noch kurz hingeschrieben: Die hiesigen Meetingraeume koennten auch bei Star Trek TNG existieren: Grosse Holztische und Stuehle, es fehlen noch so ausfahrbare Bildschirme. Aber so sieht es wahrscheinlich in vielen Firmen aus.
Mein Grossraumbuero mit eigenem Kabuff erinnert mich sehr an die Dilbert Comics. (http://www.dilbert.com/strips/)
Ach so, noch weitere Sounds of Delhi: Morgens und Spaetnachmittags durchstreifen Haendler auf Fahrraedern oder schiebbaren Vierraedern die Strassen. Sie preisen laut ihre Gueter (Obst und Gemuese) an, damit man herauslaeuft und was kauft oder sich zumindest beim Schlafen gestoert fuehlt. Ich kann das natuerlich (noch) nicht uebersetzen, aber die Rufe klingen z.B. nach "Jaaaaheeeeeee!". Sehr laut.
Ebenfalls Laerm machen die Autos, wenn der Rueckwaertsgang drin ist. Man kennt das ja aus Deutschland von piepsenden Lastern, hier macht das jedes kleinste Autochen. Der Laerm ist sehr individuell, ein teuflischer Nachbar hat sich beispielsweise die Musik zu diesem bloeden Lambada-Sommerhit vor zig Jahren einstellen lassen. Vielfaeltige Schrecklichkeiten.
Ausserdem wird noch mehr in der Tierwelt gelaermt, allerdings sind die Hauptuebeltaeter hier nicht wie von mir vermutet Voegel, sondern Streifenhoernchen! Es hoert sich wirklich an wie Vogelgesinge.
Und damit verabschiede ich mich und wuensche ein schoenes Wochenende!
Donnerstag, 16. Oktober 2008
Style oder Substance
Ich kann nicht gut einschaetzen, wie kompetent diese Wachleute sind und ob es Qualitaetsunterschiede gibt. Vor meinem Buero gibt es welche, von denen einer immer schoen salutiert, offensichtlich ein Ex-Offizier, der was auf sich haelt. Die haben auch schoene Uniformen an und ein Wachhaeuschen. Wenn eines unserer Autos ausfahren will, geht ein Wachmann auf die Strasse und haelt den Verkehr auf. Das ist vielleicht die Subpremium-Klasse an Wachleuten. Nicht so toll ausgebildet und diszipliniert wie ein Marine an der US-Botschaft, aber auch nicht schlecht.
Dann gibt es die Wachleute vor Banken. Sie sitzen in Plastikgartenstuehlen vorm Eingang und passen auf, meist auch zu mehreren. Da es heiss ist, lungern sie mehr. Repraesentative Uniformen haben sie auch, zudem sind sie auch bewaffnet. Allerdings mit alten Karabinern, die mehr so nach Steinschussgewehren aussehen und einem versierten Berufskriminellen aus Deutschland keine Angst machen wuerden. Kompetenz? Schwer einzuschaetzen.
Bei Geschaeften der Oberschicht steht meist ein Typ in militaerischer Uniform an der Tuer und oeffnet sie, wenn jemand auf sie zugeht. Kann der auch fuer Sicherheit sorgen? Oder ist er nur ein Tueraufmacher?
In der Hierarchie vielleicht darunter dann die Wachleute vor Privathaeusern. Wieder der Plastikgartenstuhl, wieder wird gelungert. Aber mehr wird ja auch nicht verlangt: Rumsitzen und aufpassen. Manchmal in Uniform, meist ohne.
Das ist also das Spekrtum: Ex-Militaers bis arme Wuerstchen in Uniform.
Jetzt koennte man ganz postmodern sagen, dass die Kompetenz egal und nur wichtig ist, dass da jemand sitzt. Als Zeichen das einfach nur sagt: Ich wohne hier und kann mir einen Wachmann leisten. Nun ueberlege ich aber, ob das nicht zu kurz gedacht ist, weil die Qualitaet des Wachmannes ja wiederum selbst ein Zeichen ist. Wer offensichtlich nur arme Wuerstchen beschaeftigt, repraesentiert nicht so viel Status wie jemand, der einen disziplinierten Ex-Militaer hat.
So wie der Lude mit teurer Rolex sich zwar anstrengt, hohen Status zu symbolisieren, aber den wahren Zeichencode der Oberschicht nicht durchdringen kann. Ein wirklich Reicher hebt bei der unsubtilen Kombination von Foenfrisur und dicker Rolex vielleicht nur die Augenbraue.
Vielleicht ueberschaetze ich aber auch die Moeglichkeit, innerhalb des Wachmann-Statussymbols verlaesslich zu differenzieren. Es ist tatsaechlich nicht leicht, "gute" von "schlechten" Wachleuten zu differenzieren.
First Impression
Und ausgerechnet fuer den Nachtflug haben die mir einen Fensterplatz gegeben, draussen ist es doch eh nur stockdunkel... aber halt, ich sah genauer hin: Unter dem Flugzeug bewegte sich unmerklich ein Dorf, vielleicht auch eine Stadt. Man konnte nur die Lichter erkennen, geometrische Muster, Strassen und viele Haeeser. Und wenn man einer der einsameren Strassen folgt, gelangt man zum naechsten Dorf, ueberall Zeichen von Zivilisation, die aus dem Dunkeln heraufscheinen.
Ich bekam ein unheimliches Gefuehl, dass alles miteinander verbunden ist, dass all die Menschen, die dort unten schlafen, in Wirklichkeit miteinander verbunden, aufeinander angewiesen sind. Von hier oben sieht man es so klar! Die Lichthaufen bilden Lebenszentren inmitten der feindlichen Dunkelumgebung, nur zusammen koennen Menschen hier ueberleben.
Durch den Bildschirm im Sitz erfuhr ich, dass es kurz nach fuenf Uhr indischer Zeit war und wir bald Delhi erreichten. Ich klebte mit der Stirn am Fenster, um so viel wie moeglich von den Zivilisationslichtern zu sehen. Langsam wurde es heller, die Sonne ging auf.
Eine halbe Stunde spaeter ueberflogen wir tief Delhi und setzten am am Indira Gandhi Airport auf.
Mittwoch, 15. Oktober 2008
Sounds of Delhi
Was ich in Delhi bisher hoere - Nachts: Da zirpen die Grillen, der Deckenventilator brummert und Riesenflugzeuge ueberfliegen laut mein Heim. In meiner Gated Community (wohne erstmal im Gaestezimmer meiner Chefin) patroullieren nachts auch Waechter, die kloppern dabei mit ihren langen Holzstoeckern jede Sekunde auf den Boden, etwa alle fuenf Sekunden trillern sie mit ihrer Trillerpfeiffe. Warum? Man weiss es nicht. Die streunenden Hunde erwachen aus der bedrueckenden Tageshitze und jagen jaulend und klaeffend durch die Gegend.
Tags: Direkt gegenueber meines Zimmers sind Tageloehner dabei, unter unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen ein Gebauede zu renovieren. Sie benutzen hauptsaechlich Haemmer, Spitzhacken und Laerm. Rechts wohnt ein hochrangiger Polizeibeamter, der zu den gerade haeufig stattfindenden hinduistischen Festen repraesentativ die Strasse zusperrt und ueber grosse Lautsprecher aus dem Polizeiarsenal religioese Musik laufen laesst. Gestern stimmte noch ein weiterer Nachbar mit ein, es hoerte sich an, als wuerde er mit einem Sandstrahler Godzilla bekaempfen, auch irgendeine Renovierungsaktion. Ich sah vom Balkon aus nur, dass er mit einem Trecker irgendein Monstergeraet in seine Einfahrt gefahren hatte.
Ueber allem liegt das Hupen. Kommt man in Indien an eine Kreuzung, guckt man nicht vorsichtig, wer kommt, sondern hupt, um anderen Verkehrsteilnehmern seine Ankunft mitzuteilen. Das ist natuerlich nur eine Moeglichkeit des Hupens. Man kann damit auch anderes ausdruecken wie "Achtung!", "Gleich ist gruen, fahr mal, da vorne", "Hallo!" oder "Ich habe schon eine Minute nicht mehr gehupt, es wird wieder Zeit". Das Hupen ist ein ewiger Begleiter.
Soviel als Appetitanreger, bald mehr.
Mittwoch, 27. Februar 2008
da nun schon Ewigkeiten vergangen sind, dass ich das letzte Mal auf dem Blog was erzaehlt hab, werde ich es vermeiden, diese Ewigkeiten jetzt nachzuholen. İch wollt nur mal fragen wies den allen BlogteilnehmerInnen so geht. Ausser Carmen die unseren Blog alleine aufrechterhalten muss, was sie unter uns gesagt, ganz gut hinkriegt, auch wenn ich geringfügert überfordert bin mit den ganzen Orten und den dazugehörigen Geschichten, wobei ich mich freu, diese alle in MR mit dem Zeigefinger abzufahren und alles nochmal erzaehlt zu bekommen.
ich fang mal kurz an: nachdem das erste SE soviel Fragen aufgeworfen hat und soviel unbeantwortet blieben, hab ich mich nun entschieden, ein weiteres SE dranzuhaengen und meinen Aufenthalt an dieser jener welchen Uni fortzusetzten. İn der ersten Woche des SE nun plage ich mich mit Unterschriftensammeln. Leider nur bedingt für einen guten Zweck. Der gute Zweck endet damit, dass ich mein Studium hier als ordentlich fortsetzten kann. Leider scheint es mir, als haelt sich ausser uns Erasmusstudierenden niemand an Öffnungszeiten oder Sprechzeiten. Raumangaben stimmen nicht, Zeitangaben sind nach dem Randomprinzip festgelegt worden und manche SE-angaben dienen wohl auch nur der Geldveruntreuung. Soll heissen, finden nicht statt oder haben sich versteckt, damit niemand teilnehmen kann. Zum Glück fühlt man sich in diesen Wirren nur selten allein, weil es mind. jedem 2ten Erasmusstudie aenlich geht. Und die aelteren sind ja nun auch schon ein wenig erfahrener in diesen İrrungen und Wirrungen.
Ansonsten gehts mir aber ganz gut. Und ich bin sehr froh wieder hier zu sein.
okay meine lieben: Marie, Steffen, Marc und natürlich Carmen, was tut hier und wenn ja warum nicht?
Mittwoch, 20. Februar 2008
Chiloé, Valdivia und 2 Stunden in Osorno
Waelder gibt es auf Chiloé viele und schoene:
Das sind richtige Urwaelder. Das Foto stammt aber auch vom einzigen Tag, den ich auf Chiloé erlebt habe, an dem es keinen sinnflutartigen Regen gab.
Lalo, der mein Reisebegleiter fuer diese Woche war, wuerde ein wenig missmutig und wir haben den Aufenthalt auf der Insel etwas abgekuerzt. Nicht schlimm, nach ein paar Tagen in winzigen Fischerdoerfern ist das auch ok.
Der naechste Plan war, Nazis-kucken zu fahren. Jaja, es gibt naemlich einen Ort hier, der Nueva Braunau heisst. Hm, Neu Ort-wo-Hitler-geboren-wurde. Es war einfach die Neugier und die Erzaehlungen einiger Chiloten, die wir im Hostal Las Lilas kennengelernt hatten, die den Wunsch naehrten, uns den Ort anzusehen und mit dem Finger auf seine Einwohner zu zeigen. Laut den Erzaehlungen vermuteten wir den Ort nahe Osorno. Also fuehrte der naechste Weg dort hin. 82km vorher, kurz hinter Puerto Montt, sahen wir allerdings ein Schild nach Nueva Braunau. Schlechtes Zeichen. In Osorno sagte man uns dann auch, dass es nur Busverbindungen von Puerto Montt aus gibt. Zurueckzufahren und nochmal umzusteigen erschien uns dann aber als zu viel Aufwand fuer ein paar Altnazis.
In Osorno also. Der Reisefuehrer preiste diesen Ort an und schrieb etwas wie: "Hier gibt es nichts zu sehen, am Besten faehrt man gleich weiter." Genau das haben wir dann auch gemacht und sind direkt nach Valdivia gefahren. Da wollte ich sowieso hin, nur nicht gleich.
Valdivia also. Nach 12 Stunden im Bus, warteten wir bis zum naechsten Tag, um den Ort zu erkunden. Als Studierendenstadt hat Valdivia einen weltoffenen und freundlichen Flair und mit 127 000 Einwohner_innen eine nette Groesse. Es gibt einen botanischen Garten und viele Kunsthandwerksmaerkte, die aber alle die gleichen Sachen anbieten.
17km entfernt gibt es das Doerfchen Niebla, von dem aus man eine Faehre nach Corral nehmen kann, wo es ein Fort gibt, in dem verkleidete Menschen sich taeglich um 16.00 und 18.00 Uhr niedermetzeln um den Unabhaengigkeitskrieg zu visualisieren. Danach kann man Fotos machen, auf denen man einen Spanier umbringt. Das war ein Spass fuer die ganze Familie.
Samstag, 9. Februar 2008
Puerto Natales - schoene Stadt... Wie komm ich hier weg?
Samstag, 2. Februar 2008
Fuenf Tage Natur, nur von Touristenfuessen beruehrt.
Noch ein Wort zur Campingausstattung: Rucksaecke mit Brustgurten sind wirklich unbequem fuer Frauen. Kann man da nicht was erfinden, was das Gewicht des Gepaecks auch gut verteilt, aber der weiblichen Anatomie besser angepasst ist? Mit diesem schrecklichen Gurt hat man naemlich die Moeglichkeit ihn entweder unter der Brust zu spannen, was wirklich seltsam aussieht und auch nicht bequem ist, oder ihn ueber die Brust zu spannen, was das Gewicht gut verteilt aber Atemnot schafft. Immerhin ergibt das ein spektakulaeres Dekolleté. Deswegen hab ich ne Weile lang nicht mehr auf den Weg, sondern in meinen eigenen Ausschnitt gekuckt. Also, Aufruf an alle Entwickler_innen: Lasst euch mal was einfallen!
Vielen Dank an alle fleissigen Leser_innen:
P.S: Das ist noch in einem Park in Punta Arenas. Waehrend des Trekkings gab es leider keine Pinguine zu sehen. Nur viele Lamas.
Montag, 21. Januar 2008
Ab in den Sueden...
Mein vorletztes Wochenende in Santiago hab ich allerdings nochmal richtig spassig verlebt. Mit einer Party, viel Tanzen und der Teilnahme an einem tollen kuenstlerischen Projekt. Es wurden Auslaender_innen, beziehungsweise Migrant_innen eingeladen, eine Wand anzumalen, zu beschriften oder sich sonstwie dort zu verewigen. Eingefunden hat sich auf diese Einladung hin eine bunte Gruppe von Menschen aus Brasilien, Peru, England, den USA und, naja, mir. Ein grosser Spass, der aus Gruenden der Situationskomik damit endete, dass eine etwa 50jaehrige US-Amerikanerin mir Stiche mit lila Wandfarbe ins Gesicht gepinselt hatte und ich auf den Fotos der Teilnehmer_innen mit Kriegsbemalung auftrat. Genau so wollte ich schon immer verewigt werden.
Bei diesem Projekt hab ich auch festgestellt, wie gut ich mich eigentlich hier schon eingelebt hatte, eine Chilenin, die dort ein paar Fotos gemacht hat, hat mich naemlich angesprochen und gemeint, sie haette mich schon mal gesehen. Gemeinsam haben wir dann rekonstruiert, dass wir uns auf der Geburtstagsfete von Cristián getroffen hatten. Ja, ja, bei den paar Millionen Einwohnern passiert sowas schonmal.
Damit will ich es jetzt auch erstmal fuer die naechste Zeit gut sein lassen. Wie es mit Internet auf meiner Reise aussieht, weiss ich nicht. Ich versuch aber ein oder zwei mal was zu schreiben und mit etwas Glueck kann ich Fotos anhaengen, auf denen ihr seht wie ich einen Pinguin knuddle, oder von einer wuetenden Pinguinmutter verfolgt werde.
Dienstag, 15. Januar 2008
Meine Strasse
Direkt vor meinem Haus arbeiten Maenner, die Autofahrern beim Einparken helfen und die Parkgebuehren kassieren. Der besondere Reiz dieser Maenner liegt darin, dass sie, sehr zum Leidwesen der Mitbewohner_innen, deren Zimmer Fenster zur Strasse hin haben, ab 7.00 Uhr morgens beginnen rumzubruellen. Ob das Teil ihrer Arbeit oder pures Vergnuegen ist, konnten wir noch nicht herausfinden. Den Rest des Tages verhalten sie sich aber relativ ruhig. Wenn man die Strasse in Richtung Providencia laeuft, kommt man an den Geschaeften vorbei. Es gibt einen Suessigkeitenladen, eine Baeckerei und ein Fischladen, der manchmal riecht wie man sich das bei Verleihnix aus Asterix und Obelix so vorstellt.
Desweiteren gibt es drei Kuechenzubehoerslaeden. Die sehen auch alle gleich aus, bieten die gleichen Sachen an, gehoeren aber nicht zusammen. Ein aehnliches Mysterium bilden die drei Friseure, die hier harmonisch drei Haeuser in Reihe belegen. Da gibt es einen fuer Maenner, einen fuer Frauen und einen, der die ganze Nacht geoeffnet hat, weswegen ich davon ausgehe, dass da Drogen verkauft werden. Und noch ein Wort zu den dazugehoerigen Friseuren. Der Maenner-Friseur sieht selbst so aus, als haette er seine Kollegen seit laengerem nicht mehr besucht, mit Rauschebaart und ungepflegten, zotteligen Haaren. Der Styler-wir-haben-rund-um-die-Uhr-geoeffnet-Typ dagegen koennte sein bester Kunde sein oder bei MTV arbeiten. Wenn ich so darueber nachdenke, hat er wirklich Aehnlichkeit mit Markus Kavka... Und dann gibt es da noch den Trekkingladen, bei dem ich inzwischen als Stammkundin angesehen wurde, weswegen mir nach dem Kauf einer Jacke und jetzt Trekkingschuhen gleich eine Muetze geschenkt wurde.
Diese Nachbarschaft werde ich noch zehn Tage lang geniessen, bevor ich in den Sueden aufbreche. Das Projekt naehert sich langsam dem Ende, bei einer kurzen Vorstellung am Montag haben wir grosses Lob fuer die Arbeit und die Ergebnisse bekommen. Naechsten Montag soll alles stehen. Ich werde jetzt mal Hostels suchen.
Sonntag, 6. Januar 2008
Wie viele Simpsons-Zitate verstecken sich im folgenden Text?
In einer Wohnung in Manuel Montt, im In-Viertel Providencia, sitzt C. Strehl... nein, das ist zu auffällig Carmen S. und verbringt die Abendstunden alleine vor dem Fernseher. Ihre Mitbewohnerin Isabell befindet sich ebenfalls in der Wohnung, aber nachdem die beiden wenig miteinander zu tun haben, verbringt jede den Abend auf ihre Weise.
Es hätte eine ruhige Nacht werden koennen, doch plötzlich hört Carmen S. den Schlüssel im Schloss der Tür. Wer kann das sein? Die anderen beiden Mitbewohner_innen sind weit weg, einer in Buenos Aires und die andere ist nach Italien zurückgekehrt. Adrenalin strömt durch Carmen S. Blutbahn. Das Schlimmste ahnend, springt sie auf, um in die Küche zu spurten, mit dem Ziel, sich mit einem Messer zu bewaffnen, als sich auch schon die Tür öffnet...
So, oder so ähnlich würde ich die Szene wohl formulieren, wenn ich einen Krimi schreiben wollte. Die mysteriösen Personen, die sich Zugang zur Wohnung verschafften, waren Lalo, unser Lalo... bringt ihn um... und eine Freundin, Anne. Als ich den Impuls, ihn Niederzustechen genügend unterdrücken konnte, gab es ein grosses Hallo. ("Bei dir kribbelt es jetzt auch so im rechten Arm, oder?") Den beiden wurde Buenos Aires zu langweilig (?!?) und sie sind quasi zum Wäschewaschen nach Santiago gekommen...
Mein Leben hier wurde derweil wieder etwas ruhiger, nachdem ich zwischen Weihnachten und Neujahr eigentlich nicht geschlafen hatte. (Viel Busfahrt, viel Feiern...) Nur Arbeit gibt es jetzt mehr. Wir haben jetzt am 20.01. den Abgabetermin für den Bericht über das Projekt und sind gerade bei der Analyse der Interviews. Zu diesem Zweck versuche ich gerade die Antworten auf unsere Forschungsfragen aus den Transkriptionen herauszufiltern. Das ist manchmal ziemlich einfach und manchmal echt schwer. Bei zweien oder so habe ich es versucht und bin bei einigen Fragen gescheitert. Was lernen wir daraus? Es gar nicht erst versuchen. Ich schaffe so also zwischen zwei und drei Transkriptionen pro Tag, bei 18 insgesamt... Ja, ich werde jetzt auch sonntags arbeiten. Dafür freue ich mich jetzt schon richtig auf den Urlaub im Süden und darauf den Indio zu küssen. (Die Aufklärung dazu, folgt in einem späteren Kapitel)
Freitag, 4. Januar 2008
50 Tage Cuba
La Habana, 4ro de Enero del 2008 – Año 50 De La Revolución
Liebe Freundinnen und Freunde,
nach nunmehr 4 Wochen in Kuba, dachte ich, dass es Zeit für einen ersten Zwischenbericht aus La Habana (Cuba) wäre. Die folgenden Eindruecke sind nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was mir Tag fuer Tag hier begegnet. Aber ich denke, dass ihr einen kleinen Einblick in den kubanischen Alltag gewinnen koennt.
...Nun fragt ihr Euch sicherlich, wieso ich von 4 Wochen und nicht von acht Wochen spreche; ein Einwand der voellig zurecht kommt. Denn mittlerweile bin ich mehr als 50 Tage in Kuba und der Anfangstext ist der Text, den ich schon vor 4 Wochen fertig hatte, aber sinnbildlich fuer den kubanischen Alltag, laeuft nichts, so wie man es sich vorstellt und so komme ich dann erst dazu meinen kleinen Bericht zu vervollstaendigen...
Gleich am ersten abend wurde ich standesgemaess mit einem kleinen Feuerwerk in der Strasse meiner ersten Wohnung begruesst. Allerdings wuerdet ihr eher von einem kraeftigen Kurzschluss sprechen, der von einem heruntergefallenen Oberleitungskabel ausgeloest wurde. Wie auch immer, jedenfalls spruehte es Funken ueber und neben mir, begleitet von kleinen Explosionen, und so hatte ich gleich am ersten Abend in Kuba die Chance meine Reaktions- und Sprintfaehigkeiten unter Beweis zu stellen – mit Erfolg. Obwohl die Stromleitungen hier eher experimentell verlegt sind, blieb es bislang aber das einzige Feuerwerk dieser Art. Denn das bei uns so obligatorische Neujahrsfeuerwerk, sei es privat oder oeffentlich, war hier ein gewaltiger Schuss aus einem grosskalibrigen Artillergeschuetz der Revolutionaeren Streitkraefte Kubas (FAR-Fuerzas Armadas Revolucionarias). Unmittelbar nach Punkt 12 sendete dass kubanische Fernsehen dann Bilder des revolutionaeren Kampfes von Che und den anderen Commandantes der Revolucion.
Das nur als kleiner aktueller Einschub – ich folgenden werde ich dann ueber einige kubanische Besonderheiten berichten, die einem als Touristen sicherlich nicht auffallen wuerden, aber im Alltagsleben Kubas von entscheidender Bedeutung sind.
Das ist zum Einen der Verkehr bzw. der oeffentliche Nahverkehr. Viele von Euch haben sicherlich bei Autos und Kuba die Assoziation von alten Ami-Schlitten aus den 50ern. Zu einem gewissen Grade ist diese Assoziation auch zutreffend, denn zumindest in La Habana machen sie ca. ein Drittel der PKW’s aus. Den uebrigen Teil bilden ebenfalls leicht betagte Autos aus der UDSSR wie Ладас oder Москвиишс sowie seit neuestem chinesische oder europaeische Fabrikate. Wichtig fuer den Alltag sind vor allem die Ami- und Sowjetautos, da nahezu alle von ihnen als inoffizielle Taxis fungieren, die einen innerhalb der Stadt fuer weniger als 1,- EUR befoedern. Allerdings sollte man genau wissen, wo man ein entsprechendes Auto anhaelt, denn die meisten von ihnen haben festgelegte Routen und halten nicht ueberall, wo man es sich wuenschen wuerde. Aber auch wenn man im falschen „Taxi“ sitzt ist die Fahrt mit einem bis zu 60 Jahre alten Chevrolet, Pontiac, Ford oder auch mal Mercedes immer ein Erlebnis; besonders dann, wenn sich das Alter des Autos bemerkbar macht und es sich weigert die Fahrt fortzusetzen. Eine weitaus guenstigere, aber nicht weniger aufregende Variante des Transportes in der Millionencapitale La Habana ist die Nutzung der sog. Guaguas. Die ist ein Sammelbegriff fuer die oeffentlichen Busse, die seit neuestem aus China kommen. Ereignisreich ist eine solche Fahrt, die 40 Centavos (weniger als 2 Cent) vor allem deshalb, weil viele Haltestellen nicht als solche gekennzeichnet sind, die Busse nicht immer mit Nummer oder Ziel versehen wird und immer eine halbe Deppe-Vorlesung sich in den Bus quetschen moechte. Dank des Ultimo-Systems (der jeweils letzte zur Haltestelle kommende fragt nach dem vorigen Letzen und so ergibt sich eine Einsteige-Reihenfolge) funktioniert trotz manchmal offen bleibender Tueren erstaunlich gut. Spannend auch deshalb, weil nie sicher ist ob und wann der entsprechende Bus kommt und vor allem wann der Bus ankommt. Denn nicht selten kommt es vor, dass der Bus zwischen den Haltestellen haelt, allerdings nicht unbedingt um weitere Fahrgaeste aufzunehmen, sondern vielmehr um sich an irgendeiner Strassenecke etwas zu essen zu kaufen. Auch kann es vorkommen, dass zwei Busse quer auf der Fahrbahn stehen und den gesamten Verkehr blockieren; allerdings nicht wegen eines Unfalls, sondern vielmehr um einen kurzen Plausch zu halten...Auch das Zugsystem, dass eines der aeltesten der Welt ist und fuer den Zuckerrohrtransport geschaffen, soll hier sehr erlebnisreich sein, obgleich ich es bis heute noch nicht ausprobiert habe.
Ein weitere alltagsfuellende Herausforderung ist der Einkauf von Lebensmitteln oder sonstigen Verbrauchsguetern. Durch die vor allem die US-Blockade bedingte Teilung der kubanischen Oekonomie in nationale Waehrung (MN-Moneda Nacional) und die Devisenwaehrung (CUC-Convertible Pesos) sind viele Waren nur schwer und zu hohen Preisen in bestimmten Geschaeften erhaeltlich. In diesen Tiendas Panamericanas gibt es vor allem Importwaren zu mindestens deutschen Preisen; allerdings ist nicht immer alles vorraetig und es kann schon vorkommen, dass ohne ersichtlichen Grund der Laden unerwartet geschlossen hat. Wer aber Geld hat, ist mit diesen Tiendas gut bedient. Weitaus schwieriger ist der Einkauf in Peso Cubano/Moneda Nacional, denn in dieser Waehrung gibt es nur Produkte aus nationaler Produktion, die zwar guenstig, aber nicht von sonderlich guter Qualitaet sind. Besonders spannend fuer Europaer ist der Einkauf von Obst und Gemuese aus den Mercados agropecuarios, auf denen entweder der Staat oder Kooperativen und auch Privatbauern ihre Produkte anbieten. Spannend deshalb, weil es eine Vielzahl von Obst und
Gemuese gibt, die bei uns unbekannt sind und auch nicht im Woerterbuch uebersetzt sind. Besonders die zahlreichen Knollengewaechse wie Maniok, Yuka oder Boniato oder auch Fruechte wie Mamey bringen mir zumindest immer wieder neue Geschmackserlebnisse.
Ebenso herausfordernd ist der Konsum von Lebensmitteln an Kiosken, Imbissstaenden oder sonstigen Futterorten. So ist nicht nur der Andrang teils erdrueckend, sondern auch die vielzahl von nur in Cuba bekannten Speisen und Gerichten, die kein Woerterbuch kennt. Besonders aufregend ist der Besuch der Coppelia, der aus dem Film „Erdbeer und Schokolade“ bekannten groessten Eisdiele Habanas, an der 1 Stunde Wartezeit nicht selten ist und die nicht weniger als 4 Eingaenge hat, die jeweils an einen anderen Ort fuehren, an dem jeweils andere Eissorten ausgegeben werden. Zumindest theoretisch, den oftmals gibt es nicht die angegebene Sorte. Angesichts des Preises von 5,- MN fuer ein Ensalada (5 Kugeln), was 20 Cent entspricht, laesst es sich zumindest als Auslaender gut warten. Wobei Auslaender, so sie denn den Preis in nationaler Wahrung und nicht das 24fache in CUC zahlen wollen und sich nicht allzu touristisch benehmen und Aussehen, am besten wenig reden und in Cuba-Slang bestellen sollten, um nicht als Auslaender ertappt und „geschroepft“ zu werden.
Die Sprache ist ein weiteres Geheimnis und Erlebnis dieses Landes, denn theoretisch wird hier zwar Castellan (Spanisch) gesprochen, in der Realitaet ist es jedoch eine Sprache, die oftmals selbst Spanien nicht verstehen, weil hier viel zu schnell und zu undeutlich mit zu vielen Kubanismen gesprochen wird. So heisst es in Spanien, dass die Kubaner sprechen wuerden, als haetten sie eine Kartoffel im Mund – eine nicht ganz unzutreffende Feststellung.
Nun aber zu ein paar weniger problematischen und dafuer umso erfreulicheren Seiten Kubas:
An erster Stelle faellt mir hier im Gegensatz zur BRD die Sportbegeisterung der vor allem jungen Bevoelkerungsteile auf, die jede Gelegenheit, jeden Ort und jedes Hilfsmittel nutzt, um dem Nationalsport Peloton (Baseball) nachzugehen. So ist denn in Kuba die Gefahr auch wesentlich groesser von einem verirrten Baseball getroffen zu werden, als Opfer eines Ueberfalls zu werden, was nicht nur am vielen Baseball spielen, sondern auch an der relativ intakten kubanischen Gesellschaft liegt, die zwar in der Hauptstadt teilweise sehr kosumorientiert ist, aber durchaus aus noch die Werte Solidaritaet und Humanismus zu pflegen weiss. Ebenso erfreulich wie der auch international erfolgreiche kubanische Sport ist die Kulturfoerderung in Kuba. So werden Kino, Theater, Ballet, Kabarett usw. sehr hoch subventioniert und somit hat wirklich jede Kubanerin und jeder Kubaner nicht nur theoretischen Zugang zu den qualitativ hochwertigen Kulturangeboten, die z.T. internationalen Charakter haben. Auf dem im Dezember stattgefunden „Internationalen Filmfestival des Neuen Lateinamerikanischen Kinos“ in Habana haette ich bei Bedarf auch „unsere“ Filme wie „Auf der anderen Seite“ oder „Das Leben der Anderen“ sehen koennen.
Mein letzter Punkt dieser Schilderung nach 50 Tagen Kuba soll der Politik gewidmet sein, die Euch ja vielleicht auch interessiert: Die Politik, die ich an dieser Stelle isoliert ohne die Erfolge in der Gesundheit, Bildung, Kultur, Sport und Wissenschaft schildern will, die aber natuerlich Ergebnis der sozialistischen Ausrichtung der Politik sind, ist fuer mich hier besonders hinsichtlich zweier Aspekte besonders interessant. Dies ist zum einen die Frage nach der Person des „Comandante en Jefe“, als nach Fidel und seinem Gesundheitszustand. In dieser Frage ist zum Einen festzuhalten, dass Fidel nach wie vor praesent ist – weniger weil seine Zitate an den Haeuserwaenden prangen oder einem ab und an ein Foto des „Baertigen“ begegnet, sondern viel mehr, weil er sich sehr haeufig in den Presseorganen Kubas zu alltaeglichen wie auch weltpolitischen Fragen aeussert und die Rolle eines „Olderstatesmans“ spielt. Die praktische Politik wird von seinem Bruder und einem Kollektiv gemeinsam gestaltet; erfolgreich, akzeptiert und durch die Person von Raul kurz, praezise und effektiv artikuliert und umgesetzt. Das gesellschaftliche und politische Leben funktioniert nach meinen Erfahrungen bisher weiter reibungslos und mit zum Teil durchaus beachtlichen Fortschritten. Besonders erfolgreich scheinen mir neben den Fortschritten bei der Versorgung der Bevoelkerung mit Lebensmitteln, Oel und sonstigen Guetern die internationalen Missionen Kubas zu sein. Damit meine ich vor allem die Operacion Milagro (Wunder), die Kuba gemeinsam mit Venezuela durchfuehrt und die in wenigen Jahren mehrere Millionen Menschen Suedamerikas und der Karibik kostenlos an Augenkrankheiten operiert haben wird, die ansonsten zu Erblindungen fuehren wuerden. Diese Mission ist hier taeglich praesent, weil
mir hier immer wieder Angehoerige des medizinischen Personals der Misson begegnen, die den Humanismus, Sozialismus und die internationale Solidaritaet Kubas verkoerpern.
Die soll es jetzt ersteinmal mit den Eindruecken aus 50 Tagen Kuba gewesen sein. Bis zum naechsten Bericht hoffe ich ein paar Bilder posten zu koennen – wenn denn die Technik mitspielt...
Bis dahin schicke ich allen Leserinnen und Lesern sonnige und solidarische Gruesse von der kleinen, roten und doch irgendwie grossen Insel Cuba.
¡Viva Cuba Libre!
¡Viva la Revolución Cubana!
¡Hasta la Victoria Siempre!
¡Venceremos!